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Innovative Szenarien nachhaltiger Stadtmobilität
Die Vorteile der autonomen und vernetzten Fahrzeuge hängen von der Verwendung unsererseits abIn den letzten Jahren war die Personenmobilität im Stadtbereich durch vier Haupttrends gekennzeichnet: Die Verbreitung neuer Geschäftsmodelle, die auf der gemeinsamen Nutzung individueller Verkehrsmittel basieren (beispielsweise Carsharing), der Anstieg der aktiven Mobilität und der Mikromobilität, die Energietransition zu Verkehrsmitteln mit alternativen Kraftstoffen mit daraus folgender reduzierter Umweltauswirkung, und die Implementierung der ersten integrierten Plattformen, die multimodale Mobilitätsdienste anbieten und allgemein als Mobility-as-a-Service (MaaS) bekannt sind.
Es handelt sich nur um einige Vorboten der Revolution, die Verkehrsdienste und –infrastrukturen dank den Fortschritten der angewandten Forschung auf den Gebieten selbstfahrende Fahrzeuge und Vernetzungssysteme zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur in Kürze betreffen und das städtische Mobilitätspanorama radikal verändern wird.
Automatisierung und konnektivität
Die selbstfahrenden Fahrzeuge werden in der Lage sein, die Umgebung wahrzunehmen und sich (auch unter gemischten Verkehrsbedingungen beziehungsweise in Wechselwirkung mit anderen Fahrzeugen oder mit Fußgängern) in Sicherheit fortzubewegen, wobei sie ein minimales bzw. überhaupt kein Eingreifen des Menschen erfordern. Vorgesehen sind unterschiedliche Automatisierungs-Levels gemäß der im Automobilsektor am meisten verwendeten Einstufung der International Society of Automotive Engineers (SAE):
- Level 0 – Keine Automatisierung: dem Fahrer obliegt die Ausführung aller Fahraufgaben;
- Level 1 – Fahrerassistenz: der Fahrer hat die Kontrolle über die Fahrzeugbewegungen, das System kann jedoch in Bezug auf Lenkrichtung und Geschwindigkeit eingreifen;
- Level 2 – Teilautomatisierung: sowohl Lenkrichtung als auch Geschwindigkeit werden vom System gesteuert, der Lenker muss jedoch in der Lage sein, unter besonderen Umständen eventuell Korrekturen vorzunehmen;
- Level 3– Bedingte Automatisierung: das System hat die vollständige Kontrolle über das Fahrzeug, der Fahrer muss jedoch auf Anfrage des Systems zum Eingreifen bereit sein;
- Level 4 – Hochautomatisierung: das System ersetzt den Fahrer vollständig, jedoch nur bei bestimmten Fahraufgaben;
- Level 5 – Vollautomatisierung: das System bietet die gleichen Leistungen wie Level 2, jedoch ohne Einschränkungen bei den Fahraufgaben; dieses Level wird auch als „mind off“ bezeichnet, d.h. der Fahrer wird zum einfachen Passagier ohne zum Lenken oder zur Steuerung verpflichtet zu sein, so dass er sich vollständig anderen Tätigkeiten widmen kann.
Fahrzeuge, die mit Fahrassistenzsystemen (Advanced Drivers Assistance System, ADAS) nach Level 2 ausgestattet sind, werden mittlerweile normal zugelassen, und im Handel sind bereits Fahrzeuge mit teilautomatisierten Fahrsystemen nach Level 2 erhältlich. Prototypen vollkommen autonomer Fahrzeuge (Level 5), die in der Lage sind, die Umgebung wahrzunehmen, indem sie sich lediglich auf die an Bord montierten Messgeräte basieren, werden auf Prüfstrecken und speziellen Stadtstrecken erprobt.
Parallel dazu befinden sich Fahrzeuge in der Entwicklungsphase, die über einen hohen Grad an Konnektivität verfügen und auf fortschrittlichen Kommunikationstechnologien zwischen Fahrzeug und Umgebung basieren, wie:
- Vehicle-to-Vehicle (V2V) für den Datenaustausch zwischen Fahrzeugen, um beispielsweise Meldungen über Gefahrensituationen bereitzustellen oder zu erhalten, die auf abrupte Verlangsamungen, Unfälle oder widrige Witterungsverhältnisse zurückzuführen sind;
- Vehicle-to-Infrastructure (V2I) für den Datenaustausch zwischen Fahrzeug und Infrastruktur, beispielsweise um über die örtlichen Verkehrsbedingungen informiert zu werden oder um die Geschwindigkeit zu harmonisieren oder anzupassen, wenn man in Bereichen mit besonderen Beschränkungen unterwegs ist;
- Vehicle-to-People (V2P) für den Datenaustausch zwischen Fahrzeugen und ‚Wearables’ wie beispielsweise Smartphones, um Informationen zu erhalten, wie die Anwesenheit eines gefährdeten Benutzers, der die Straße überqueren will, oder einer Gruppe Kinder, die soeben aus dem Schulbus ausgestiegen ist;
- Vehicle-to-Network (V2N) für den Datenaustausch zwischen dem Fahrzeug und einer Verkehrskontroll- und –überwachungszentrale, um Informationen über die globalen Flussbedingungen im gesamten Verkehrsnetz in Echtzeit zu erhalten.
Diese Systeme erfordern kein Automatisierungs-Level und gestatten die Steigerung von Sicherheit, Fahrkomfort und im Allgemeineren der Leistungen des Verkehrssystems.
Automatisierung und Konnektivität sind nämlich zwei unterschiedliche Begriffe, die bisweilen fälschlicherweise verwechselt werden. Die derzeitigen Recherchen im Automotive-Sektor richten sich momentan nach zwei Ansätzen: einer ist stärker auf die Vollautomatisierung (Level 5) ausgerichtet und zielt auf ein autonomes Fahrzeug ab, das von den anderen Elementen des Verkehrssystems „unabhängig“ und nicht notwendigerweise mit den anderen Fahrzeugen und der Infrastruktur vernetzt ist; der andere Ansatz ist auf die fortschreitende Entwicklung immer stärker automatisierter Fahrfunktionen und –systemen ausgerichtet, die durch die Vernetzung zwischen Fahrzeugen und Infrastrukturen befähigt werden (smart roads).
Annäherungen an das autonome und vernetzte fahren
Worin bestehen also die Vorteile, die autonome und immer stärker vernetzte Fahrzeuge mit sich bringen werden?
Die Wissenschaft ist in zwei Lager gespalten: eines stellt neue Vernetzungsmöglichkeiten und effizientere Verkehrsdienste in Aussicht, das andere befürchtet eine Zunahme der Verkehrsstaus und weniger Sicherheit auf den Straßen. In Wirklichkeit wird viel davon abhängen, worin das Konsummodell besteht, das sich durchsetzen wird: Ob es auf dem ausschließlichen Besitz basiert und nach und nach die herkömmlichen Autos ersetzt oder ob es auf der gemeinsamen Nutzung basiert, d.h. dass es einen Fahrservice „auf Anfrage“ bieten wird, wie dies heute bei den Taxis der Fall ist. Folglich kann das überwiegende Nutzungsmodell der autonomen Fahrzeuge individuell (Privatfahrzeug im Dienst des einzelnen Benutzers), geteilt (Fahrzeug im Dienst mehrerer Benutzer) oder kollektiv (Fahrzeug im gleichzeitigen Dienst mehrerer Benutzer) sein.
Es ist klar, dass die Vorteile vom überwiegenden Verwendungsmodus abhängen werden, der sich in Zukunft durchsetzen wird. Im konservativeren Szenario, in dem die Benutzer autonome Fahrzeuge kaufen, wird es wenig Veränderung im Verhältnis zur heutigen Lage geben, die Nutzung der Straßen (und damit Verbrauch und Schadstoffemissionen) kann sich vielmehr erhöhen, da Fahrzeuge auch für Benutzer zur Verfügung stehen, die bisher nicht zum Fahren befähigt sind (z.Bsp. junge Leute und ältere Menschen) oder wegen der „Leer“-Fahrten (ohne Passagiere an Bord), um das Fahrzeug wieder nach Hause zu fahren und den anderen Familienmitgliedern zur Verfügung zu stellen.
Vollkommen entgegengesetzte Betrachtungen könnten angestellt werden, wenn die autonomen Fahrzeuge für Mobilitätsdienste auf Abruf und mit Tarifen verwendet würden, die wettbewerbsfähiger als die derzeitigen sind (nach dem Uber-Modell), da die Betriebskosten infolge der Abwesenheit eines Fahrers eingespart werden. Die Gefahr eines derartigen autonomen Taxidienstes besteht darin, dass er auch für die Benutzer der öffentlichen Verkehrsmittel sehr attraktiv sein könnte; dies würde zu einer modalen Verlagerung von kollektiven zu individuellen Verkehrsformen führen, verbunden mit der Zunahme der Verkehrsmittel, die in der Stadt unterwegs sind, sowie der Fahrtstrecken, des Verbrauchs und der Emission von Schadstoffen. Es ist daher zweckmäßig, dass die Verbreitung dieser Dienste hauptsächlich auf das Angebot von Shuttlediensten auf festen Fahrtstrecken und mit einem vorgegebenen Fahrplan ausgerichtet werden kann, um als Zubringer zum schnellen Massenbeförderungsnetz (U-Bahn, Straßenbahn, …) zu fungieren (sog. „Feeder“).
Die obigen Betrachtungen sind zwar qualitativer Art, sie heben jedoch hervor, wie wichtig eine sorgfältige Einschätzung der breitgefächerten potenziellen Auswirkungen der autonomen Fahrzeuge auf die Verkehrssysteme im Verhältnis zu den Veränderungen ist, wobei auch die Auswirkungen auf die Bodennutzung, die soziale Inklusion und noch viele weitere Aspekte zu berücksichtigen sind.
Die Städte müssen sich daher in zweifacher Hinsicht auf die Veränderung vorbereiten: kurzfristig durch Investitionen in die technologischen Innovationen, die auf dem Markt zur Verfügung stehen werden, um sie in die vorhandenen Verkehrssysteme zu integrieren; langfristig durch die gleichzeitige Planung der Mobilität mit einem visionären Ansatz, der in der Lage ist, das Ausmaß der uns erwartenden Innovation wahrzunehmen, indem die Mobilitätssysteme einschließlich der Dienste, der Tarife und der Regulierung des öffentlichen Verkehrs, der Wartung der Infrastrukturen und der städtischen Logistik neu erdacht werden, damit eine wirtschaftlich nachhaltige, schrittweise und inklusive Transition garantiert ist.
Ausgehend von eben diesen Voraussetzungen entstehen die ersten Living Labs der Stadtmobilität (siehe beispielsweise das Projekt Interreg ADRION TRIBUTE – https://tribute.adrioninterreg.eu/), die die Erprobung eines neuen Ansatzes fördern, der auf Formen der Kooperation zwischen „Öffentlich-Privat-Forschung-Bürger“ basiert, bei dem neue Ideen, Dienste und Lösungen für eine innovative und nachhaltige Stadtmobilität mitgeplant und mitimplementiert werden.
Literaturhinweise
- Coppola, P., Silvestri, F., 2019. Autonomous vehicles and future mobility solutions, in: Coppola, P., Esztergár-Kiss, D. (Eds.), Autonomous Vehicles and Future Mobility. Elsevier, pp. 1–15. https://doi.org/10.1016/B978-0-12-817696-2.00001-9
- Coppola, P., Silvestri, F., De Fabiis F., 2022. Consumers‘ expectations and attitudes towards owning, sharing, and riding Autonomous Vehicles (forthcoming)
- Interreg ADRION TRIBUTE Project – https://tribute.adrioninterreg.eu/
