Der „NEXT level” des öffentlichen Verkehrswesens
Modularität und Flexibilität des ÖPNV im StadtbereichNEXT ist ein innovatives experimentelles System, das konzipiert wurde, um einen „flexiblen, skalierbaren, geteilten, autonomen und umweltverträglichen Mobilitätsdienst” ins Leben zu rufen. Im Laufe des Jahres 2021 konnte NEXT seine Fahrzeuge in einem realen Verkehrskontext – und danach im Rahmen der Expo 2020 in Dubai – erproben und sammelte Erfahrungen mit spezifischen Geschäftsmodellen, die leicht an dieses innovative Verkehrssystem angepasst werden können. Nach diesen intensiven Testphasen holte FLOWS die Reflexionen von NEXT-Gründer und -Erfinder Tommaso Gecchelin ein.
FLOWS (F) – Wenn wir kurz beschreiben wollten, was „Next” ist, dann würden wir sagen, dass es sich um ein intelligentes, auf modularen Elektrofahrzeugen basierendes Verkehrssystem handelt. Jedes Modul kann sich an die anderen an- bzw. von den anderen abkoppeln, während es durch unsere Städte fährt. Es handelt sich um eine flexible, wirtschaftliche und nachhaltige Form der Mobilität, und gerade aus diesem Grund ist es besonders für all jene von Interesse, die sich mit der Planung des öffentlichen Verkehrswesens von morgen beschäftigen. Die Stadt Padua wurde auserwählt, um NEXT von Juli bis November 2021 im Rahmen eines städtischen Kontextes zu testen. Welche Ergebnisse wurden in diesem ersten Testzeitraum auf Straße erzielt?
Tommaso Gecchelin (TG) – Der Test von NEXT in Padua wurde in zwei Phasen unterteilt. Die erste wurde in der Via Longhin durchgeführt, mit dem Ziel, einige technische Funktionen des Fahrzeugs zu überprüfen. Die zweite Phase – die hauptsächlich die Via Tommaseo auf dem Streckenzug vom Messegelände bis zum Busbahnhof am Bahnhof von Padua betraf – hatte den Zweck, die Hauptfunktion von NEXT, d.h. die Modularität, in einem gemischten Verkehrskontext auf einer der größten Straßen der Stadt entlang einer Strecke zu erproben, die der eines echten öffentlichen Verkehrsdienstes ähnlich ist. Während des Testzeitraums auf der Via Tommaseo konnten wir interessante Parameter zu Verbrauch, Komfort im Fahrzeuginneren sowie Performance beim An- und Abkoppeln zwischen den in Bewegung befindlichen Fahrzeugen und mit Fahrgästen an Bord erfassen.
Die Anwesenheit von Passagieren – oder besser gesagt von Co-Prüfern, die eine Haftungsbefreiung für die Tests unterzeichnet haben – stellt sicher ein interessantes Element dar, das es uns gestattet hat, die Reiseerfahrung mit objektiven Methoden (Aufzeichnung der Lärmentwicklung und der Vibrationen, um nur ein Beispiel zu nennen) und offenen Fragebögen zu erforschen. Es handelt sich um ein Hilfsmittel, mit dem wir Informationen zu Themen wie Annehmbarkeit des Dienstes gesammelt haben, mit der Möglichkeit, die Antworten auf die gleichen Fragen, die vor und nach dem Test gestellt wurden, zu vergleichen. In Bezug auf die Wahrnehmung der effektiven Möglichkeit, den Dienst zu implementieren, haben sich interessante Resultate ergeben: Vor dem Einsteigen in die Fahrzeuge waren die Benutzer der Ansicht, dass die NEXT Module kurzfristig nur schwerlich implementierbar sind, doch diese Wahrnehmung änderte sich nach Abschluss des Tests vollkommen und beinahe alle Co-Prüfer gaben an, dass der Dienst ab sofort verwirklicht werden könnte, da sie de facto die Erfahrung eines vollkommen funktionsfähigen Fahrzeugs machen konnten. Viele von ihnen erlebten während der Fahrt auch das An-/Abkoppeln der Fahrzeuge, ein – wie wir feststellen konnten – für die Fahrgäste spannendes Erlebnis. Im Allgemeinen erhielten wir positives Feedback.
Die Erprobung hat es uns überdies ermöglicht, die Vorteile, die der Modularität des Systems zu verdanken sind, genau festzuhalten. Parallel zu den Tests auf Straße haben wir eigene Studien durchgeführt, um zu verstehen, wie die NEXT Fahrzeuge im Rahmen des öffentlichen Verkehrs für die Stadt Padua auf effiziente Weise verwendet werden können. Ausgehend von den Daten zur Variation der Nachfrage im Laufe des Tages, die von Busitalia Veneto bereitgestellt wurden, konnten wir feststellen, was passiert, wenn wir die Anzahl der untereinander angekoppelten Module im Laufe des Tages verändern. Wir haben daher gesehen, dass es zweckdienlich sein kann, während der Stoßzeit um 7 Uhr morgens 5 Module zu koppeln, um hingegen eine geringere Anzahl an Fahrzeugen in den Stunden mit geringerer Verkehrsnachfrage einzusetzen, und dann für die abendliche Stoßzeit zu den 5 Fahrzeugen zurückzukehren. Die Möglichkeit, zu entscheiden, wie viele Module man ausgehend von der tatsächlichen Nachfrage einsetzt, gestattet die Erzielung erheblicher Einsparungen in Sachen Energieverbrauch (es geht hier um eine Mindesteinsparung von 20%) und deutlicher wirtschaftlicher Einsparungen, die sowohl auf das Aufladen der Fahrzeuge als auch auf die Akkus selbst zurückzuführen sind. Der modulare Aufbau ermöglicht es nämlich, die Fahrzeuge während des Tages rotationsmäßig aufzuladen, damit sie dann alle für die abendliche Stoßzeit bereitstehen. Es handelt sich dabei um eine Neuheit in der Welt der Elektrofahrzeuge für die öffentliche Mobilität: ein Autobus, der seinen Dienst auch in den Stunden mit geringer Verkehrsnachfrage auf jeden Fall erfüllen muss, kann erst am Ende seines Dienstes aufgeladen werden. Das bedeutet, dass ein Akku vorgesehen werden muss, der in der Lage ist, die vorgesehenen Dienststunden – normalerweise 8 – zu garantieren. Im Falle von NEXT hingegen kann der Akku für 2 Dienststunden bemessen werden, wodurch eine Einsparung in Bezug auf den Kauf des Akkus und eine höhere Kapazität der Fahrzeuge erzielt werden kann.
Das wichtigste Ergebnis, das uns diese Erprobung geliefert hat, betrifft jedoch die Bestätigung der Tatsache, dass ein modularer öffentlicher Verkehrsdienst nicht nur machbar, sondern auch effizient und leistungsfähig ist, ohne den Komfort an Bord zu beeinträchtigen (das An- und Abkoppeln der in Bewegung befindlichen Fahrzeuge erfolgt nämlich auf fließende und augenblickliche Art und Weise). Und das ist eine absolute Neuheit.
5 aneinander gekoppelte NEXT-Module, die anstelle eines 12 Meter langen Linienbusses zur Stoßzeit verwendet werden. Während der Stunden mit geringerer Verkehrsnachfrage setzt nur ein Fahrzeug den Busdienst auf dieser Linie fort, während die an der Haltestelle abgekoppelten Next-Module aufgeladen oder einzeln als Autos für Car Sharing verwendet werden können, da das einzelne Modul mit einem B-Führerschein gelenkt werden kann
F – Derzeit ist NEXT auch bei der Expo 2020 in Dubai. Worin besteht die Rolle von NEXT in diesem Kontext? Welche Ziele haben Sie sich für diese spezifische Testerfahrung gesetzt?
T.G. – Bei der Expo in Dubai sind wir mit 5 Fahrzeugen vertreten. Unser Ziel besteht darin, zu beweisen, wie gut sich ein modulierbares Verkehrssystem für unterschiedliche Geschäftsmodelle eignen kann. In diesem Fall hat das Szenario nichts mit dem öffentlichen Verkehrswesen zu tun, sondern entspricht dem Thema Retail in Bewegung/On demand-At home-Dienste. Die Fahrzeuge weisen das Branding eines Sponsors auf: Jedes Modul wird zu einem Geschäft, das hypothetisch zum Kunden nach Hause kommt und es ihm gestattet, Produkte zu testen und Fachberatung in Anspruch zu nehmen. Außerdem birgt die Modularität die Möglichkeit in sich, über Räumlichkeiten und Funktionen zu verfügen, die für jede angekoppelte Einheit unterschiedlich sind. Das Geschäftsmodell des Retail in Bewegung kann jedoch durch das öffentliche Verkehrswesen ergänzt werden: denken wir beispielsweise an ein „Bar-Modul“, das an die für den Passagiertransport bestimmten Module angekoppelt wird und den Fahrgästen während der gesamten Dauer der Fahrt zur Verfügung steht.
Das, was wir gerade in Dubai erproben, hilft uns dabei, zu verstehen, ob es möglich ist, die verfügbaren Innenräume für Retail-Erfahrungen auszustatten. Und die Antwort ist bereits positiv.
F – Angesichts der Resultate und Reflexionen, die sich aus den bedeutenden Erprobungen von NEXT im Jahre 2021 ergeben haben, welche wesentlichen Merkmale müssen die Formen der öffentlichen Mobilität von morgen Ihrer Ansicht nach aufweisen?
T.G. – Modularität und Flexibilität sind die zentralen Themen. Die Erprobung hat uns bestätigt, dass diese zwei Merkmale von den Benutzern geschätzt und „verstanden“ werden.
Weitere zwei interessante Aspekte sind die Skalierbarkeit der Lösungen und die Tatsache, dass sie ohne spezielle Infrastrukturen funktionieren können. Jedes NEXT-Modul ist beispielsweise für autonomes Fahren gedacht, eine Funktion, die aus regulatorischen Gründen in Italien heute jedoch noch nicht anwendbar ist. Wenn eine Körperschaft beschließen sollte, NEXT-Fahrzeuge zu mieten oder zu kaufen, kann sie die unmittelbaren Vorteile der Modularität und Flexibilität genießen, und – wenn autonomes Fahren in unserem Land legal wird – dann verfügt sie bereits über Fahrzeuge, die auf diese Art der technologischen Evolution ausgerichtet sind. Skalierbarkeit heißt also, in Hilfsmittel und Dienste zu investieren, die bereits Technologien nutzen, die schrittweise ausgebaut werden können.
Ein modulares Fahrzeug ermöglicht es außerdem, jenen Menschen entgegen zu kommen, denen es heute noch schwerfällt, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, um die private Mobilität aufzugeben, da es sich um eine Mobilität handelt, die der privaten näher steht als die üblichen Autobusse oder Straßenbahnen. Es handelt sich daher um eine Lösung, die eine schrittweise Annäherung von öffentlicher und privater Mobilität ermöglicht, indem versucht wird, den Hang zur Nutzung des Privatautos um jeden Preis abzuwenden, was potenziell zur Lösung der derzeitigen Mobilitätsprobleme beiträgt.
F – In Ihrer Eigenschaft als Erfinder von NEXT, worin bestehen Ihrer Ansicht nach die derzeitigen Hindernisse und worin die Möglichkeiten, bei denen angesetzt werden muss, damit die Innovationen im öffentlichen Verkehrswesen in Italien sowohl für die Testphasen als auch für die raschere Verbreitung und Verwendung auf fruchtbaren Boden fallen können?
T.G. – Die Einschränkungen sind auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Fahrzeuge – die mit Probekennzeichen unterwegs sind – keinen öffentlichen Verkehrsdienst im engen Sinne bieten können, sondern nur Co-Prüfer transportieren dürfen. Um die Testphasen effizienter zu machen, muss eine bürokratische und regulatorische Lösung gefunden werden, die auch experimentellen Fahrzeugen den Passagiertransport gestattet.
