Wir verlassen das Haus an einem kalten Februarmorgen. Es erwartet uns ein Tag, der sich entschieden vom gewöhnlichen Alltag unterscheidet: weit entfernt vom Büro, weit entfernt von den Baustellen, weit entfernt von den Ingenieurtätigkeiten, die den herkömmlichen Vorstellungen am meisten entsprechen. Heute lassen wir das Hemd im Schrank und öffnen die Schublade mit den Sweatern, und zwar den dicken mit Kapuze, denn es wird einem rasch zu kalt, wenn man im nassen Gras kauert, um die Auflagen der Brücken zu untersuchen, die die Flüsse der Poebene überqueren. Und trotzdem: was für eine Genugtuung.
Verschiedene Faktoren wirken sich auf den Sicherheitszustand unseres Infrastrukturschatzes aus, verschiedene Eingriffe werden heute verlangt, um dafür zu sorgen, dass dieser Schatz den Bürgern unter voller Einhaltung der Vorschriften weiterhin zur Verfügung gestellt werden kann.
Daher ist es eine Genugtuung, „Ingenieur zu sein” und Erfahrungen und Kompetenzen zur Verfügung zu stellen, damit es in Italien nicht nur große neue Infrastrukturen, sondern auch antike Viadukte, Bahnübergänge und historische Brücken geben kann, die in vollkommener Sicherheit benutzbar sind.
Die Prüfung der Erdbebenanfälligkeit von Brücken bedeutet nicht nur, diagnostische Tätigkeit bei den existierenden Bauwerken durchzuführen – ähnlich wie das im medizinischen Bereich erfolgt – sondern auch, mit den unterschiedlichsten Bauarten, Materialien und Bauzeiten konfrontiert zu werden. In Italien kommt es nämlich sehr viel öfter vor, dass man Brücken untersuchen muss, die in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts oder in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg gebaut wurden, als Brücken aus jüngerer Zeit.
Die Tätigkeit jener, die dazu berufen sind, diese Art von Ingenieurarbeiten zu analysieren und zu überprüfen, beginnt bei den Originalplänen. Es handelt sich um besonders kostbare, interessante Dokumente von historischer Bedeutung, die man jedoch mit Sorgfalt prüfen muss. Was heißt das? Das heißt, sich im Dickicht der alten „Papiere“ – Zeichnungen und Berichte – zurechtzufinden, die bisweilen vollkommen überholt sind, sich zu versichern, dass das, was deklariert wird, mit dem, was man vor Ort vorfindet, übereinstimmt, es bedeutet, jedes einzelne Dickenmaß durch spezielle Vermessungen zu überprüfen. Doch wenn man dann festgestellt hat, dass alles korrekt ist, verwandeln sich diese „alten Papiere“ in Verbündete von grundlegender Wichtigkeit, dank derer es möglich wird, Details zu rekonstruieren, die andernfalls nicht überprüft werden könnten.
Prüfung der Erdbebenanfälligkeit
Jede Anfälligkeitsprüfung vor Ort erfordert eine aufmerksame vorbereitende Tätigkeit: Vermessungen, Untersuchungen, Belastungsprüfungen, Labortests an vor Ort entnommenen Proben und Modelleichung.
Die Vermessungen – die auf unterschiedliche Arten vorgenommen werden können – werden mit dem Ziel durchgeführt, die Geometrien jedes Bauwerks auf „Makroebene“ (Ansichten, Schnittdarstellungen und Grundrisse) zu bestätigen – oder neu zu vermessen. Außer der geometrischen Rekonstruktion jedes Manufakts gestatten es einige Vermessungstechniken wie die Rekonstruktion mittels Luftbildfotografie, den tatsächlichen Zustand der Ort zu erhalten, damit es gelingt, Baufälligkeit und Mängel der Brücken sofort zu erkennen und sich diesbezüglich besser vorbereitet bei den Augenscheinnahmen einzufinden.
Mit den geoseismischen Untersuchungen ist es hingegen möglich, das Verhalten in Sachen seismischer Reaktion des spezifischen Untergrunds auszumachen, um die erwartete Beschleunigung festzulegen und eventuelle Verstärkungseffekte abzuschätzen, die auf die Starre und Zusammensetzung der Böden zurückzuführen sind. Das Georadar gestattet hingegen die Vermessung dessen, was vom Unterbau von außen her nicht überprüfbar ist (man denke dabei an Bauten, die gegen den Boden errichtet oder sogar eingegraben wurden, wie Widerlager und Fundamente). Außerdem sind Untersuchungen zur Analyse der Strukturmaterialien, zur Überprüfung der Blechstärke sowie des Restquerschnitts der Armierungen, des Korrosionszustands der Metalle und im Allgemeinen der mechanischen Merkmale der Baumaterialien in Sachen Beständigkeit und Starre vorgesehen.
Parallel dazu werden statische und dynamische Belastungstests durchgeführt, die im Falle von Eisenbahnbrücken den Einsatz von Lokomotiven erfordern. Durch diese Art von Tätigkeit werden die Durchbiegungen der Struktur unter Belastung, die Verformung und die Spannungen innerhalb der Blechfasern, das Verhalten bei der Entlastung und die dynamischen Verstärkungen gemessen, während die Testlokomotive mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten die Brücke passiert. Mit anderen Worten können dank der Belastungstests die Vibrationsfrequenzen der Brückenbalken und ihr tatsächliches Verhalten unter Belastung festgelegt werden.
Es handelt sich um Tests, die eine echte Planungsarbeit erfordern, die festlegen muss, wo genau die Lokomotiven und die Sensoren zu platzieren sind, und die die Bewertung der echten Beanspruchung jedes mit einem Messinstrument ausgestatteten Elements ermöglichen; auf diese Weise wird die Güte der Ergebnisse des theoretischen Berechnungsmodells bewertet, das hingegen darauf abzielt, den „Grenz“-Arbeitsbereich zu untersuchen, bezüglich dessen das echte Bauwerk natürlich nicht getestet werden kann.
Ausgehend von den Informationen, die man von den Belastungstests erhält, wird das Berechnungsmodell geeicht, dank dem es dann möglich ist, weitere Simulationen und Prüfungen an Brückenbalken und Unterbau vorzunehmen und eine echte Anfälligkeitsprüfung in die Wege zu leiten.
Die Anfälligkeitsprüfungen sehen die Implementierung nicht nur objektiver physischer Parameter auf dem Modell vor (Geometrien, Masse, Starren, Materialien und Belastungen), sondern auch von Leistungsparametern, die zum Teil mit dem Auftraggeber festgelegt werden und die Parameter des Bauwerks, die Sicherheitskoeffizienten der Tätigkeiten und den Koeffizienten PSI2 miteinschließen, der die Masse bestimmt, die auf die variablen Belastungen zurückzuführen ist, die während einer seismischen Aktivität zu berücksichtigen sind. Hierzu kommt noch der Sicherheitskoeffizient der Materialien, der je nach Kenntnisstand variiert, den man mit den Untersuchungen, den Inspektionsprüfungen und der verfügbaren historischen Dokumentation als erreicht betrachtet.
Die statischen Anfälligkeitsprüfungen umfassen bei Brücken auch den dynamischen Verstärkungskoeffizienten, der je nach Geschwindigkeit, mit der die Fahrzeuge über die Brücke fahren, nach der Länge der Brückenbalken und der ersten Biegungsfrequenz der Brückenbalken variiert. Oft werden bei existierenden Bauwerken weitere Untersuchungen verlangt, mit dem Ziel, festzulegen, mit welcher Höchstgeschwindigkeit die Konvois die überprüften Bauwerke in Sicherheit passieren können. Bisweilen sind diese Einschränkungen nicht wirksam, entweder weil die Merkmale des Bauwerks minimale Variationen der dynamischen Koeffizienten je nach Geschwindigkeit mit sich bringen, oder weil das Bauwerk an sich am Ende seiner Nutzlebensdauer angelangt ist: in diesen Fällen ist es wichtig, Zeiten und Modalitäten für die Verstärkung festzulegen, da das Bauwerk an sich, unabhängig von der Art der Belastung, Kritizitäten aufweist.
Sichtprüfungen und Inspektionen
Die Tätigkeiten zur Anfälligkeitsprüfung werden durch Sichtprüfungen und Inspektionen ergänzt, die anhand eines Systems durchgeführt werden, das dem System DOMUS des italienischen Schienennetzbetreibers RFI entlehnt wurde. Es ermöglicht eine Beurteilung des Erhaltungszustands der Bauwerke nach einer codierten Methodologie. Diese Methode berücksichtigt die Kenndaten des Manufakts mit Katalogisierung nach Typologie, die Definition der grundlegenden Strukturelemente ausgehend vom Brückentyp, den Mängel-Katalog jedes spezifischen Materials und den Bewertungsalgorithmus für den Zustand der Bauwerke, der die Berechnung des Schwachstellenindex für die Infrastruktur gestattet.
Diese Methode ermöglicht nicht nur eine Unterteilung jedes Bauwerks in Untergruppen: Unterbauten (Brückenpfeiler und Widerlager), Brückenbalken, Elemente des Überbaus, Verbindungsmechanismen (Verbinder und Auflagen), sie kategorisiert auch die Mängel, indem sie eine Definition und die Prüfungsmodalität dazu liefert, d.h. geteilte Angaben, wie jeder Mangel während der Prüfung zu suchen ist, wie und mit welchen Instrumenten er zu bewerten ist; parallel dazu führt sie auch einen Koeffizienten zur Bedeutung des Mangels auf einer Skala von 1 bis 4 auf. Für jeden Mangel werden anhand spezieller Koeffizienten (K2 und K3) auch Intensität und Umfang bewertet.
Entsprechend der DOMUS-Methode können Bewertungsblätter erstellt werden, auf denen weitere, für die Prüfungstätigkeiten nützliche Informationen eingetragen werden: die Teile der Bauwerke, die überprüft werden, die festgestellten Mängel unter Angabe von Bezeichnung, Beschreibung und Bedeutungskoeffizient, die Angabe der notwendigen Elemente, um die genaue Position, an der der Mangel festgestellt wurde, zu identifizieren, sowie natürlich die von DOMUS vorgesehenen Indikatoren und das Fotomaterial.
Am Ende der Überprüfungen wird das Brückenprüfungs- und –testprotokoll abgefasst, in dem ausgehend von der Unterteilung des Bauwerks in Untergruppen die einzelnen festgestellten Mängel und die Beurteilungen der Personen erläutert werden, die die Bewertung vorgenommen haben.
Schließlich ist das Ausfüllen eines zusammenfassenden Datenblatts nach dem vom Zivilschutz verwendeten Vordruck vorgesehen, das nicht nur detailliertere Kenndaten umfasst, sondern auch die Prüfung des territorialen Bereichs verlangt, in dem sich die Brücke befindet, mit der Möglichkeit, das Vorhandensein eventueller Bereiche anzugeben, die Erdrutsch oder Überschwemmungen unterliegen könnten, sowie die Rekonstruktion der dramatischsten Ereignisse, die die Brücke erlitten hat (z.Bsp. Einsturz, Brand, Kriegsereignisse, Reparaturen usw.).
Es handelt sich um wesentliche Maßnahmen, um die Sicherheit und effiziente Funktionstüchtigkeit unseres Infrastrukturschatzes zu garantieren und sicherzugehen, dass dieser Schatz weiterhin unter Einhaltung der Vorschriften genutzt werden kann.