Können Sie sich noch vorstellen, wie Stau einmal ausgesehen hat? Wegen des Virus Covid 19 sind weite Teile der Welt im LockDown-Zustand, aber mit den Impfungen ist Licht am Ende des Tunnels und schon bald werden wir mit einer neuen Normalität konfrontiert.
Wie sieht diese aus? Darauf kann zurzeit niemand seriös eine Antwort geben, aber man kann doch Eckpunkte festhalten, aus denen wir die nächste „Normalität“ unseres Lebens gestalten.
Leben und Mobilität gehören einfach zusammen
Mobilität wird ein Grundbedürfnis der Menschen bleiben, nach Monaten des Verzichts wird es auch Nachholbedürfnisse geben. So werden wir uns mit der Tatsache, dass die Mobilitätssysteme in vielen Städten am Limit sind, schon bald wieder auseinandersetzen müssen. Außerdem hat die Corona-Krise dem desaströsen Zustand unserer Erde höchstens eine kleine Verschnaufpause gegönnt und wir sollten gemeinsam neu überlegen, wie wir uns nachhaltig und effizient organisieren können.
Diese Krise hat viele Lebensgewohnheiten in Unruhe gebracht und ermöglicht es so, noch einmal ganz neu zu denken, wie wir Mobilität bestmöglich gestalten können. Auch die Geschichte zeigt, dass nach schwierigen Zeiten verstärkt und mit neuer, innovativer Energie Entwicklungen vorangetrieben wurden.
Mobilitätsinnovationen in den zwanziger Jahren nach der Krise des 1.Weltkrieges & der Spanischen Grippe
- 1922: Der erste Hubschrauber, der als solcher wirklich funktionierte und einen Piloten transportieren konnte, konstruiert von dem französische Ingenieur Étienne Œhmichen[i].
- 1922: Der Kanadier Joseph-Armand Bombardier [ii] war erst 15 Jahre alt, als er das erste moderne Schneemobil mit einem Kettenantrieb und Verbrennungsmotor konstruierte.
- 1923 Der deutsche Ingenieur und Unternehmer Hermann Dorner baute als Erster Automobile mit Dieselmotoren in Serie[iii].
Das ist die Chance, die aus dieser schwierigen Situation resultiert!
Wir sollten unsere Lösungen für die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen ergebnisoffen und kreativ zu überprüfen.
So können neben traditionellen Verkehrsmitteln auch städtische Seilbahnen in einer neuen Mobilität eine Existenz haben und aufgrund der schnellen Bauzeit und der relativ kleinen Kabinen (in der Regel ca. 30 Personen), deren Vorteile wir in den letzten Monaten kennengelernt haben, einen Markt erschließen.
Seit einigen Jahren wird in Fachkreisen diskutiert, ob urbane Seilbahnen auch in Europa eine Ergänzung oder sogar Alternative zu Bus und Bahn sind; In vielen Ländern der Welt sind sie schon Realität und Ingenieure planen schon heute neue Strecken in Europa. Die von der Association of European Transport [iv] organisierte European Transport Conference (ETC) diskutiert einmal im Jahr in einer Multistream-Konferenz aktuelle Verkehrsthemen und gibt seit 2013 in dem Programme Committee „Local Public Transport“ dem Forum „Urbane Seilbahnen“ eine Heimat.
Eine Seilbahn ermöglicht Direktverbindungen in Luftlinie und ist damit auch sehr flexibel in der Trassenführung.
Sie kann bodenbezogene Verkehrsknotenpunkte anschließen oder bewusst umgehen. Die Bauzeit ist relativ kurz, in Brest waren es nur vier Monate[v].
Systemimmanent haben Seilbahnen einen geringen Flächenverbrauch am Boden, ein großer Vorteil gegenüber PKW, Bussen oder Schienenfahrzeugen. Die Geschwindigkeit ist gleichmäßig bis zu 36 km/h über die gesamt Strecke.
Bis zu 6.000 Personen pro Stunde können mit einer hohen Taktdichte befördert werden, so dass es keine Fahrpläne und Wartezeiten geben muss, aus Kundensicht ein riesiger Vorteil.
Der Antrieb ist elektrisch und in einer Station untergebracht. Bremsen, Getriebe und Motoren in einzelnen Fahrzeugen sind nicht nötig, dadurch ist die Technologie sehr energieeffizient. Die Fahrt ist leise und weil Seilbahnen nicht in Verkehrsunfälle mit konventionellen Verkehrsträgern verwickelt werden können, sind sie sehr sicher.
Neu ist der Gedanke an die dritte Dimension nicht
- 1974 wurde in der norddeutschen Stadt Kiel eine innerstädtische Seilbahn errichtet, um Besucher eines Einkaufszentrums quer über den Hafen hinweg zu Parkplätzen zu befördern, für Kinder war das eine willkommene Abwechslung beim langweiligen Stadtbesuch mit den Eltern, Touristen genossen den Blick auf den Hafen.[vi] (vgl Bild Anlage)
- 1976 wurde wegen Verzögerungen beim U-Bahn-Bau die Roosevelt Aerial Tram in New York eingesetzt, um Nicht-Autofahrern kurzfristig ein Öffentliches Verkehrsmittel zur Verfügung zu stellen, um nach Manhattan gelangen können. Diese Seilbahn hat einen so festen Platz im ÖPNV des Big Apple, dass sie 2010 durch einen Neubau ersetzt wurde.
Urbane Seilbahnen sollten als Chance begriffen werden und können eine verkehrspolitische Alternative sein. In vielen Teilen der Erde werden sie mit hohem volkswirtschaftlichem Nutzen eingesetzt. Das größte urbane Seilbahnnetz der Welt überzieht Boliviens Regierungssitz La Paz. In zehn Linien mit einer Gesamtlänge von 30 Kilometern können pro Stunde 50.000 Menschen die steilen Hänge der Andenmetropole hinauf- und hinabschweben.[vii] Hier wurden enorme Effekte im Bereich der Erreichbarkeit von Ortsteilen und in Bezug auf soziale Integration erzielt.[viii]
Auch in Europa werden urbane Seilbahnen über ihre Funktion als touristische Anziehungspunkte hinaus zunehmend als Problemlösungsstrategie für den ÖPNV im innerstädtischen Bereich diskutiert. Dabei ist der Nutzen differenziert zu betrachten. Während in Südamerika soziale Aspekte und eine Basiserreichbarkeit bestimmter Regionen im Mittelpunkt stehen, geht es in Europa um die nachhaltige Optimierung bzw. die sinnhafte Ergänzung eines bereits sehr gut ausgebauten ÖPNV-Systems.
Doch auch hier lohnt es sich innovativ zu denken. Aufgrund der Möglichkeit der schnellen Realisierung und der Tatsache, dass eine gute Verkehrsanbindung einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Immobilienpreis hat, bietet sich die Kooperation mit Projektentwicklern an. So kann ein Beitrag zur innovativen Finanzierung des ÖPNV geleistet werden.[ix] Zudem ergibt sich die Möglichkeit einer gemeinsamen Stadtentwicklung mit privaten Partnern[x].
In zahlreichen deutschen Städten gibt es Verkehrsplanungen in unterschiedlichem Reifegrad zum Bau von urbanen Seilbahnanlagen als Ergänzung zum bestehenden Nahverkehr. Der Rechtsrahmen für die Errichtung von urbanen Seilbahntrassen ist in Deutschland vorhanden. Seit dem vergangenen Jahr können im ÖPNV eingesetzte Seilbahnen öffentlich gefördert werden.[xi]
Damit ist eine wichtige Voraussetzung geschaffen, Seilbahnen als mögliche Lösung bei Verkehrswegeinvestitionen im ÖPNV standardmäßig mit zu untersuchen.
Da bisher vergleichsweise wenige Erfahrungen zu urbanen Seilbahnen bestehen, braucht es aber Planungsgrundlagen und Standards, an denen sich Kommunen und zuständige Planer orientieren können.
Nur wenn Seilbahnen im direkten Vergleich gegenüber Bus, Tram, U- oder S-Bahn gut abschneiden, bekommen sie eine Chance auf dem Markt. Denn urbane Seilbahnen können nicht jedes Verkehrsproblem lösen, auch sie haben ihre Begrenzungen, z.B. die Geschwindigkeit.
Auf Strecken von mehr als sieben Kilometer Länge sind Bus oder Bahn in den meisten Fällen schneller als Gondeln. Ein weiterer kritischer Punkt ist die Trassenführung. Wenn eine Seilbahn Verkehrsflächen oder Gewerbegebieten überspannt, ist das eher unproblematisch. Sobald aber Privatgrundstücke in die Planung einbezogen werden müssen, drohen Interessenkonflikte.
Integration in das Gesamtsystem
Sinnvoll ergänzen können urbane Seilbahnen den ÖPNV nur, wenn das Umsteigen zu anderen Verkehrsmitteln technisch und organisatorisch reibungslos funktioniert.[xii] Dazu ist es wichtig bei der Entwicklung multimodale Hubs gleich mitzudenken.
Eine innovative Lösung haben Ingenieure der RWTH, Aachen, Deutschland entworfen:
Der upBus[xiii] kombiniert die Vorteile von Seilbahn und selbstfahrendem Elektrobus. Anstatt umzusteigen, können die Fahrgäste einfach sitzen bleiben. Bei bekannten Engpässen wird die Kabine automatisch vom Fahrgestell abgehoben und schwebt von dort als Gondel am Seil durch die Luft. Am Ende der Seilbahnstrecke wartet ein neues Fahrgestell, mit dem es auf der Straße weitergeht. Ein Prototyp existiert bereits, ab 2023 soll in einem Piloten getestet werden.
Fazit
Eine spannende Entwicklung, ich wünsche mir, dass bei der Erweiterung von Verkehrssystemen ergebnisoffen geprüft wird und alle Kriterien mit in die Prüfung kommen, auch die Zeit zwischen Abschluss der Planungen und der ersten Fahrt!
Die Bedürfnisse der Kunden dürfen nicht vergessen werden. Das Argument, dass ein innovatives Verkehrsmittel mehr Spaß macht und eventuell neue Fahrgäste motiviert vom Auto in den Umweltverbund umzusteigen, sollte auch mit in die Entscheidungsfindung einfließen.
[i] https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89tienne_%C5%92hmichen; 1.2.2021
[ii] https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph-Armand_Bombardier; 1.2.2021
[iii] https://de.wikipedia.org/wiki/Dorner_%C3%96lmotoren; 1.2.2021
[iv] https://aetransport.org/; 1.2.2021
[v] https://www.zeit.de/2020/30/seilbahnen-staedte-verkehr-muenchen-bonn-oepnv-sicherheit, 2.1.2021
[vi] Vgl. Anlage
[vii] ETC 2018: Lucia Manzi, Steer: Up in the Sky – Are Cable Cars a viable form of urban mass transit?
[viii] ETC 2020: Dr. Daniel Oviedo, UCL: A Framework for social assessment of urban cable-car projects in global south cities
[ix] ETC 2019: David Spencer, Capitol Group London: Developing a Cable Car network – A Developer’s perspective.
[x] ETC 2014: Yaron Hollander, Transport for London: A Cable Car for London – The Emirates Air Line
[xi] Vgl. Deutschland, GVFG-Änderung 2020;https://www.gesetze-im-internet.de/gvfg/BJNR002390971.html; 1.2.21
[xii] ETC 2019: Dr. Arnd N Bätzner, ETH Zürich: Sorte to Medium Distance High Capacity Transit as Retrofit: “Elevated Connectors” – Fast, Equitable, Social
[xiii] https://www.upbus.rwth-aachen.de/, 1.2.2021