Das Zeitalter des Coronavirus. Es ist der Zeitpunkt gekommen, einen Artikel erneut aufzugreifen, den ich vor einigen Jahren geschrieben hatte. Mit kleinen Berichtigungen.
Wir sprechen von Resilienz im Unternehmensbereich. Welches operative Modell wird in der Lage sein, die wirtschaftliche Auswirkung des Coronavirus am besten zu lindern?
Der Stand der Dinge
Halten wir kurz den Stand der Dinge im Ingenieur- und Beratungswesen fest.
In der Vergangenheit verfügten wir über operative Modelle, die auf technischen Aspekten basierten, deren Struktur den sogenannten Geschäftslinien folgte oder nach den technischen Spezialgebieten organisiert war. In der Folge kam das Modell nach Industriesektor auf, in dem Versuch, sich zu einem Ansatz mit stärkerer Kundenorientierung zu bewegen. Der neue Trend ist das operative Modell nach „account“, das dazu gedacht ist, die internen Barrieren, die Unternehmen seit jeher daran gehindert haben, das gesamte Kundenportfolio voll und ganz zu nutzen, ein für alle Mal aufzuheben.
Ein guter, jedoch noch nicht perfekter Schachzug. Kunden und Technik könnten die Arme und Beine des erfolgreichen operativen Modells sein. Es fehlen uns jedoch noch Herz und Hirn. Es fehlen uns die Menschen.
Ingenieur- und Beratungswesen sind aus Herz und Hirn gemacht. Das optimale operative Modell muss einen besonders starken Fokus auf den Kunden aufweisen und der technischen Qualität ein außerordentliches Augenmerk schenken. Vor allem aber müssen bei ihm die Menschen im Mittelpunkt stehen. Es muss auf den Menschen basieren.

„people at centre“ – photo created by rawpixel.com – @ 2020 Freepik – image processing by NET Engineering
„Kümmere dich um deine Mitarbeiter, sie werden sich um deine Kunden kümmern, die sich ihrerseits um deine Firma kümmern werden. In dieser Reihenfolge.“
(“Leaders eat last” – Simon Sinek, Founder Start With Why)
„Als erstes kommen nicht die Kunden. Als erstes kommen die Mitarbeiter. Wenn du dich um deine Mitarbeiter kümmerst, werden sie sich um deine Kunden kümmern.“
(Richard Branson, CEO & Fondatore Virgin Group)
„Wenn Menschen Gefahren in Angriff nehmen müssen, die innerhalb des Unternehmens entstehen … sind sie gezwungen, zu viel Zeit und Energie dafür zu verwenden, sich voreinander zu schützen … und das Unternehmen selbst verliert an Effizienz bei der Bewältigung der Bedrohungen, die von außen her kommen …“
(“Leaders eat last”, Simon Sinek)
Ein auf die Menschen ausgerichtetes operatives Modell begünstigt die Entwicklung eines starken Zugehörigkeitsgefühls und wer dazugehört, fühlt sich sicher und tut sich mit seinen Kollegen zusammen, um sich und das Unternehmen gegenüber Gefahren von außerhalb zu verteidigen. Es ist ein Ort, an dem die Menschen in die Lage versetzt werden, alle ihre Energien und Fähigkeiten einzusetzen, um dem Unternehmen, in dem sie arbeiten, Resilienz, Stabilität und Wachstum zu garantieren.
Wie verwirklicht man ein Modell dieser Art? Machen wir ein bisschen Brainstorming
Wir sprechen von Menschen…
Die richtigen Menschen am richtigen Ort. Leider kommt in unseren Unternehmen oft das Gegenteil vor. Der Hauptgrund hängt mit den Rollenzuweisungsprozessen zusammen, die normalerweise nicht berücksichtigen, dass die persönlichen Kompetenzen genauso wesentlich sind wie die Verwaltungs- oder technischen Qualitäten. Ein hervorragender Techniker muss nicht unbedingt ein hervorragender Verkäufer sein; ein hervorragender Verkäufer muss nicht unbedingt ein hervorragender Geschäftsführer sein, usw.. Die Unterschätzung der sogenannten „soft skills“ ist auch einer der Hauptgründe, wegen denen das Risiko besteht, Soziopathen in Führungsrollen vorzufinden. Und ein soziopathischer Leader kann dem Geschäft erheblichen Schaden zufügen, mehr als erheblichen.
Leader führen, Manager verwalten. Warum hält man dann starrsinnig daran fest, Manager in Führungsrollen einsetzen zu wollen? Leader weisen „Unternehmergeist“ auf, Weitblick, sie denken langfristig, geben den Kurs an und können Menschen mitreißen. Manager sind Ausführer, die auf das Ergebnis abzielen, sich auf kurzfristige Belange konzentrieren und den Fokus vor allem auf Systeme und Kontrollen setzen. Wir brauchen sicherlich beide, sind derzeit jedoch „über-verwaltet“ und „unter-geführt“. Wir sind also von Kurzfristigkeit besessen, scheren uns aber nichts um Langfristigkeit.
Der Leader kommt zum Schluss…

„Real leaders serve“ Photo by Kate Townsend – © 2020 Unsplash
Wir brauchen eine Leadership im Sinne der Beschreibung von Simon Sinek. Wir brauchen Leader, die auf Gaben wie Empathie, Vertrauen, Integrität, Ehrlichkeit, Verantwortungsbewusstsein setzen. Wir brauchen Vision und Courage. Wir brauchen Leader, die das Richtige machen und nicht nur „die Dinge auf die richtige Weise“. Wir brauchen Leader, die die Wahrheit sagen und nicht das, was andere hören wollen. Wir brauchen Leader, die die Menschen inspirieren, indem sie ihnen direkt in die Augen sehen, und keine Manager, die die Menschen hinter einem Computer sitzend verwalten.
Wir brauchen eine ethische Leadership, die im Dienste der Personen steht. „…. Wenn wir gute Leader sein wollen, besteht unsere Aufgabe darin, den Personen, die wir führen oder mit denen wir arbeiten, dabei zu helfen, ihre Aufgaben gut zu erfüllen … es bedeutet, dafür zu sorgen, dass sie sämtliche Ressourcen, Informationen und die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, um ihr Bestes zu geben. Es bedeutet auch, sie zu schützen und ihnen dabei zu helfen, Fehler zu beheben, falls ihnen welche unterlaufen sollten…“.
(“Real leaders serve” – Linkedin article by Simon Sinek).
Prozess, Pläne und Prinzipien
Wir müssen klare und zuverlässige Feedback-Prozesse entwickeln. Von oben nach unten und umgekehrt. Das Top-down-Feedback ist für das berufliche Wachstum unserer jungen Menschen wesentlich. Das Bottom-up-Feedback ist wesentlich, um bessere Leader zu erhalten.
Wir müssen klare, zuverlässige und ausgeglichene Karrierewege entwickeln. Gesunder Menschenverstand, aber nicht gängige Praxis. Es kommt zum Beispiel oft vor, dass das Geschäftspersonal ständig im Scheinwerferlicht steht, während Techniker und Verwaltungspersonal in dunklen Winkeln vor sich hin murmeln.
Wir müssen klare und zuverlässige Anerkennungsmodelle entwickeln. Wir dürfen uns dabei nicht nur auf die Individualitäten konzentrieren, sondern den Horizont auf die Leistungen des gesamten Teams und der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Funktionen erweitern.
Die Menschen dürfen nicht unterbezahlt werden, gleichzeitig muss man aber auch vermeiden, dass sie überbezahlt werden. Auch in diesem Fall gilt: gesunder Menschenverstand, aber nicht gängige Praxis. Und a propos Gehälter tut man stets gut daran, die eigene „Unternehmenspyramide“ nicht aus dem Auge zu lassen. Die Form an und für sich ist nicht der Schlüssel. Was zählt, ist die Form des Unternehmens im Verhältnis zum Markt, auf dem man tätig sein möchte.
Schulung muss eine Priorität sein. „Schulung“ ist eines der am stärksten missbrauchten Worte, wenn man von Unternehmen spricht. Die Wirklichkeit schlägt sich oft in einer Liste ignorierter Trainingsprogramme nieder. Schulung ist nicht fakturierbar und verschiebt sich daher auf der Prioritätenliste nach unten, stets wegen unserer dummen Angewohnheit, uns nur auf die Kurzfristigkeit zu konzentrieren. Eine Mentalitätsänderung ist notwendig. Die Verwirklichung des Schulungsprogramms sollte von jedem Verantwortlichen als eines der Hauptziele betrachtet werden. Wenn daher beispielsweise für ein bestimmtes Steuerjahr eine bestimmte Geldsumme X für die Schulung ausgeschüttet wurde, sind geringere Ausgaben negativ und sicher nicht positiv.
Wir haben einen verzweifelten Bedarf an integrierten, synergischen und interfunktionalen Unternehmensentwicklungsplänen. Die Geschäftsentwicklung ist eine Aufgabe, die der geschäftlichen Abteilung anvertraut ist, der Rest des Unternehmens muss sie jedoch dabei unterstützen und Wert hinzufügen. Alle Schlüsselfunktionen müssen von Anfang an involviert sein. Keine chinesischen Mauern. Keine Silos. Die Kosten-Nutzen-Analyse zur Durchdringung eines neuen Marktes oder zur Entwicklung einer neuen Dienstleistung muss gemeinsam vorgenommen werden, im Teamwork.
Wir brauchen dynamische und diversifizierte Geschäftsmodelle. 20 Jahre lang das gleiche Geschäftsmodell zu verfolgen, ist einfältig. Ein Geschäftsmodell zu verfolgen, das über 50% seiner Erträge auf dem gleichen Sektor oder für die gleiche Dienstleistung einbringt, ist töricht. Für den gleichen Vertrag, tragisch. Es ist sehr schwer, aus dieser Situation herauszukommen, langfristig handelt es sich jedoch um etwas, das getan werden muss. Andernfalls riskiert man, dass die einzige Art und Weise, sich über Wasser zu halten, darin besteht, seine Mitarbeiter auszupressen, bis auch das nicht mehr ausreichen wird, und das ist dann das Ende.
Die Entlassung sollte die letzte Option darstellen. Nicht die schnellste, nicht die einfachste, nicht die wirtschaftlichste. Die letzte. Punktum. Und wenn sie unbedingt notwendig ist, müssen Respekt und Würde die Hauptgrundsätze sein. Das bedeutet, dass man erklären und sprechen muss, mit dem der weggeht, mit dem der bleibt, aufrichtig, von Angesicht zu Angesicht, und dass man demjenigen, der weggeht, die Möglichkeit geben muss, ein neues Leben zu beginnen. Ja, wir sprechen auch von Geld. Die Art und Weise, auf die man einen Firmenumstrukturierungsprozess verwaltet, kann das zukünftige Wohlbefinden derjenigen, die weggehen, entscheiden, aber auch das Vertrauen und die Motivation derjenigen, die bleiben: eine Grundregel, die man sich stets vor Augen halten muss.
Performance gegen Ethik. Team gegen Individuum. Es ist mir piepegal, ob du der beste Performer des Unternehmens bist. Wenn du dadurch deine Kollegen schädigst, bist du draußen. Mit Lichtgeschwindigkeit.
Handlungen, nicht Worte. Was hier bisher gesagt wurde, wird unvermeidbar zu lästigem Gelaber, wenn es nicht gelingt, rasch von der Theorie zur Praxis überzugehen.
Banalitäten, Utopien oder Idealismus…
Man könnte behaupten, dass es sich um einen Haufen Banalitäten handelt. Ist es nicht. Wenn dem so wäre, dann sollte das am weitesten verbreitete operative Modell so aussehen, dem ist aber nicht so.
Man könnte das Gegenteil behaupten, d.h. dass es sich um eine Liste aufregender Ideen handelt, die jedoch nicht verwirklicht werden können. Ist es nicht. Wenn man einen Leader hat, der führt, und nicht einen Manager, der ausführt.
Man könnte die Ansicht vertreten, dass es sich um ein Sammelsurium von Idealismus handelt, das mit dem realen Business nicht kompatibel ist. Ist es nicht. Die stabile und dauerhafte Rentabilität eines Unternehmens ist direkt proportional zur Zufriedenheit seiner Menschen.