Dromokratie – Mit diesem Begriff definierte Paul Virilio in den Achtziger Jahren die zunehmende Bedeutung der Rolle der Geschwindigkeit in den sozioökonomischen Gleichgewichten der zeitgenössischen Kultur und nahm damit eine Vision vorweg, die heute aktueller denn je ist.
Geschwindigkeit ist eine Größeneinheit, die mit dem technologischen Fortschritt konstant gewachsen ist und zu einem primären Element der Innovation wurde, das auf die ständige Suche nach der Evolution des Raum-Zeit-Verhältnisses ausgerichtet ist.
Wir leben in einer „high speed society“ mit Lebensmodellen, die durch die Schnelligkeit der Bewegung, der Kommunikation, der Produktion gekennzeichnet ist, die wiederum eine Epoche erzeugen, in der die technische Beschleunigung jedes Phänomen des gesellschaftlichen Lebens beschleunigt hat.
Die Geschwindigkeit hat die kollektiven Dynamiken durchdrungen, angefangen beim Privatleben bis hin zu Arbeit und Bewegung; die Geschwindigkeit erreicht mit dem Netzwerk und mit der Datenübertragung Simultanität und annulliert dabei Distanzen und zeitliche Barrieren, wobei die Bedeutung der Gegenwart in der individuellen und kollektiven Erfahrung stark betont wird.
Die Beschleunigung der gesellschaftlichen Veränderungen ist mit dem wachsenden Tempo bei der Verbreitung der wichtigsten Neuerungen verbunden: Das Radio, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfunden wurde, benötigte etwa 40 Jahre, um 50 Millionen Zuhörer zu erreichen; das Fernsehen, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingeführt wurde, erreichte das gleiche Verbreitungsniveau in nur 13 Jahren, während von der ersten bis zur 50 Millionsten Internetverbindung lediglich vier Jahre verstrichen sind.
Die Geschwindigkeit kann nicht von Zeit und Raum getrennt werden, und wenn die Zeit zu einer exponentiellen Kompression neigt – wie dies heute geschieht – dann wird eine Reflexion über die Auswirkungen dieser Evolution auf die Eigenschaften des Raumes in all seinen Ausformungen, vom Wohnraum über die Stadt bis zum Territorium, selbstverständlich.
Die wachsende Geschwindigkeit der Bewegung ändert unser Verhältnis zum Raum, unsere Erfahrung, wie wir ihn erleben und wahrnehmen; die Orte des zeitgemäßen Lebens zu erdenken bedeutet, darüber nachzudenken, wie die Schnelligkeit gelebt werden soll, indem man sich neue Benutzungsformen und stetige Veränderungen vorstellt.
Die Zunahme der Komplexität der Beziehungen spiegelt sich in den Erzeugungsprozessen der neuen Orte und in der Definition der Räume wider, die dazu neigen, sich zu vermischen und zu überlappen: Es ist ein Wucherungsprozess der Umgebung der Existenz im Gange, mit einer gleichzeitigen Verringerung der Trennung durch die konventionellen Grenzen: immer häufiger existieren unterschiedliche Orte in der gleichen Umgebung.
Entscheidend beim Vorzeichnen einer Trennlinie zwischen einem hybriden Gebäude und den großen städtischen Behältern mit gemischter Nutzung ist die Auslösung gegenseitiger Beziehungen, die in der Lage sind, Integration und Austausch zwischen den unterschiedlichen Aktivitäten des funktionalen Programms festzulegen.
Die große Fähigkeit des Gebäudes besteht also darin, die klare Unterscheidung, die zwischen dem privaten Teil und dem öffentlichen Teil besteht, verwischen zu lassen, ohne dass irgendein Mangel, weder an Intimität noch an Zugänglichkeit, wahrgenommen wird.
Das Gebäude wird hybrid, wie eine reaktionäre Handlung gegenüber der Abtrennung und der Grenze, und wie ein Schritt in die Richtung einer gemeinsamen Nutzung der Stadt und des Raumes, indem noch nie vorher dagewesene Konfigurationen erzeugt werden.
Die Phänomene der raschen Veränderung, die die moderne Stadt betreffen, sorgen für eine Zerlegung der engen Verbindung zwischen gebauten Orten und Anwendungsarten, die für lange Zeit die Grundlage der Besiedelungsmodelle der traditionellen Stadt bildeten.
Das Hybrid basiert auf dem Zusammenleben unterschiedlicher Funktionen und Programme in der gleichen Struktur, die miteinander interagieren und dabei die gewohnten Typologien der einzelnen Verwendungsarten abwechseln. Sie eröffnen für den Raum und seine Architektur neue Ausdrucksmöglichkeiten, sowie neue formelle Nutzungskategorien.
Das Modell des hybriden Raumes basiert auf dem Aufeinandertreffen zwischen öffentlichem und privatem Raum: die Intimität des Privatlebens und die Geselligkeit des öffentlichen Lebens finden im Konzept des Hybrids einen gemeinsamen Nenner. Ein Netzwerk, das auf der Dynamik der Flüsse basiert, verleiht dem Hybrid die Merkmale der Flexibilität, Austauschbarkeit, Porosität, Permeabilität.
Ein Beispiel dafür ist die High Line in New York, ein Ort, der drei Arten gesellschaftlicher Aktivitäten erzeugt: sich bewegen, schauen, treffen. Im Zeitalter der Wucherung der Räume für virtuelle Treffen stellt die High Line eine neue Art des öffentlichen Raumes dar, der Landschaft, Architektur und Urbanität verbindet. Sie werden durch ein Projekt der infrastrukturellen Umstellung zusammengefasst und erzeugen einen neuen, großen natürlichen Fluss im Herzen von New York.
James Corner1 hält fest, dass die High Line ein Beispiel für einen neuen öffentlichen Raum ist und die beginnende Äußerung einer neuen Evolutionsperspektive der postindustriellen Stadt darstellt, in einer Vision, die auf die Vermischung aus Park, städtische Straße und Platz zentriert ist.
Die Projektkultur des urbanen Hybrids konzentriert sich auf zwei Hauptwesenszüge: die Anti-Typologie und die programmatische Verfügbarkeit. Erstere arbeitet an der formellen Dimension und beschreibt die Fähigkeit des Hybrids, die mechanische Neuvorstellung traditioneller Typologien zugunsten ihrer Evolution zu überwinden. Letztere begünstigt die Dynamik und die komplexe Artikulierung des Programms, was zur Annullierung des Paradigmas der Entsprechung Form-Funktion führt. Die neuen Orte sind allgemein und variabel, sie bestehen aus Räumen zum Leben, zum Arbeiten, aus kulturellen Räumen und Freizeiträumen, mit dem Ziel, der Stadt offene Infrastrukturen zu bescheren.
Der hybride Ort verneint Grenzen, er stellt einen Akt in Richtung einer gemeinsam genutzten Stadt dar, die sich in ständiger Evolution befindet. Eine Infrastruktur für die Veränderung.
Das Hybrid führt zu neuen Bedeutungen bei der Nutzung des Raumes, indem es eine komplexe und unsichere Dimension der Gesellschaft abfängt, die mit dem Akronym VUCA definiert werden kann (das Us Army College schuf dieses Akronym im Jahre 2005, um die neuen Szenarien zu definieren, in denen sich die Heere bewegen): volatility, uncertainty, complexity and ambiguity.
„Die Moderne zieht Übergangsrituale vor, das Fließen in Raum und Zeit: unser Sein besteht heute mehr denn je im Werden”, Gianluca Bocchi.
Anmerkungen
1. James Corner konzipierte mit dem Studio Field Operations und Diller Scofidio das Requalifikationsprojekt für die New Yorker High Line