Es gibt keinen Beruf, kein Kapital, das nicht mit einer intelligenten Handlung beginnt. Denn wenn der Kreislauf der Ideen geschlossen ist, dann bleibt auch der Kreislauf des Reichtums geschlossen.
Wenn man den Fluss der Ideen aus der geschichtlichen Perspektive heraus betrachtet, dann war er noch nie so intensiv wie heute. Und auch der Artikel, den Sie gerade lesen und der online kursiert, ist auf seine bescheidene Art und Weise Zeuge dafür: Gedanken werden in Worte umgewandelt, Worte reisen auf Bits, das Netz macht sie mobil, schnell, fähig, überallhin zu gelangen.
Es interessiert uns an dieser Stelle, über die Verbindung zwischen Ideenflüssen und ihre Folgen zu sprechen, insbesondere über die Art und Weise, auf die die Flüsse des Wissens auf die der Innovation treffen. Das Zitat von Cattaneo – der zu den lebendigsten Denkern des republikanischen und föderalistischen 19. Jahrhunderts zählte und in den letzten Jahren aufgrund der Aktualität seines Werks wiederentdeckt wurde – soll daran erinnern, dass das Thema relevant ist, denn „Wenn der Kreislauf der Ideen geschlossen ist, dann bleibt auch der Kreislauf des Reichtums geschlossen“.
Welches Gebiet interessiert uns dabei? In diesem Fall Europa. Diese große Region der Welt wird oft ausgehend von ihrer Beziehung zwischen der Freiheit des Denkens und der Fähigkeit des freien Zusammenlebens definiert. Ein Thema, das ganze Generationen über Jahrhunderte angeregt – und oft enttäuscht hat. Lucien Febvre schrieb in seinen Lektionen über Europa. Entstehung einer Zivilisation (1945) Folgendes:
Dieses verführerische Europa, dieses prestigereiche Europa, dieses plausible Europa, war am Ende des 18. Jahrhunderts zu einer Chimäre, einem Traum, einem Trugbild geworden. Die Menschen, die die Vorstellung davon verkörpert hatten, hatten das Glück gehabt, in einer Zeit zu leben, in der Europa über den Staaten, über den Grenzen, über den Heeren der verschiedenen Diplomatien (…) stand und die gemeinsame Sprache und den alltäglichen Umgang kultivierter Menschen darstellte. Diese Menschen lebten in einer Zeit, in der es über allen Wirklichkeiten eine andere Wirklichkeit gab: die Einheit, die Brüderschaft, das profunde Verständnis zwischen Freigeistern, die die gleiche Sprache sprachen, die gleichen Bücher lasen und Bücher schrieben, die die gleichen Gedanken vertraten und die gleichen Projekte erdachten.
(…) Die Kaiser und Kaiserinnen einer Zeit, die mit großen Frauen und großen Männer verschwenderisch war, von Friedrich II. bis Josef II., von Katharina von Russland bis Maria Theresia von Österreich, sprachen die Sprache der Völker; jene Könige und Königinnen, die alle Fäden der politischen Kräfte in der Hand hielten, die die materiellen Kräfte handhabten, sie alle vertraten die Gedanken der Philosophen, der Bürger des Europa der Aufklärung. Und jene Könige und Königinnen verlangten von den Philosophen nicht nur Gedanken, sie verlangten nicht nur nach der Versorgung ihrer Geister mit Ideen. Sie verlangten mehr von ihnen, Verfassungen und Reformprojekte für ihre Staaten.
Es handelte sich dabei um eine Illusion, und der Aufstieg der Nationen und der Nationalismen im 19. Jahrhundert sollte dies beweisen. Dieser lange geschichtliche Exkursus ist jedoch notwendig, um noch einmal die Beziehung zwischen Ideenflüssen, Veränderungen und neuen Verantwortungen, die sich daraus ergeben, zu unterstreichen.
Wir sprechen über Europa, denn hier hat sich in den Institutionen unterschiedlicher Ebenen das Konzept der Responsible Research and Innovation (im Kommissions-Jargon RRI) verbreitet. Die Möglichkeiten, die durch die Wellen der Innovation freigesetzt werden, angefangen bei den Technowissenschaften – Biotechnologien, Nanotechnologien, Neurowissenschaften, Robotik, Big Data – erzeugen nämlich Erwartungen, aber auch Ängste.
Drei Beispiele: In seinem Buch aus dem Jahre 2012 Das Ende des Menschen stellte Fukuyama Überlegungen zur gesellschaftlichen und geschichtlichen Auswirkung der Biotechnologien an und verwies dabei auf zwei frühere, sehr bekannte Werke: Schöne neue Welt (1932, Huxley) und 1984 (geschrieben im Jahre 1948 von Orwell). Zwei beunruhigende Zukunftsvisionen, zwei apokalyptische Auslegungen der Innovation, deren Erscheinen eine historische Tatsache ist, die der Angst vor einer Neugestaltung im Rahmen der sozialen und damit politischen Beziehungen ausgesetzt ist.
Und hier taucht die Frage nach transparenten Mechanismen auf, um die Bürger in die Entscheidungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft einzubeziehen, um „unentschuldbare Blockaden für die Innovation zu vermeiden, die Stigmatisierung der neuen Technologien oder die Schaffung von Hindernissen für die Entwicklung innovativer Produkte”1, indem auf ein „wachsendes Engagement der politischen Institutionen auf höchster Ebene“ gedrängt wird, „um für die Stimme der Bürger zu Entscheidungen, die ihr Leben beeinflussen, Platz zu schaffen, und um sie miteinzubeziehen, damit die Regierungen ansprechbarer und verantwortlicher werden“ 2.
Auf diese Weise wurde das Konzept der Responsible Innovation zur Grundlage der Forschungs- und Innovationspolitik der EU. Horizon 2020 widmet ihr ganze Finanzierungslinien (Science with and for society) und bringt sie mit den drei „O’s“ des europäischen Kommissars Moedas in Verbindung: Open Innovation, Open Science, Open to the World. Gleichzeitig bestehen die europäischen Ausschreibungen auf den ethischen und sozialen Profilen beispielsweise von Internet of Things, Künstlicher Intelligenz und Citizen Science im Gesundheitsbereich.
Kurz gesagt, wenn die Flüsse der Kenntnis auf eine ausführende Macht treffen, wird die Innovation zur Realisierung des Unwahrscheinlichen, dessen Reglementierung vorab schwierig ist. Und das, obwohl wir Beispiele dafür in Händen halten, dass Innovation und Begabung es verstehen, Antworten auf ebenfalls noch nie dagewesene Fragen zu finden, wenn Cattaneos „Kreislauf der Ideen“ offen bleibt: Es gibt den Algorithmus, der immer mehr als unverantwortlicher Automatismus verstanden wird (Flüsse von Entscheidungen, die auf der Grundlage derart komplizierter Automatismen getroffen werden, dass sie unserer Kontrolle zu entweichen scheinen), doch dann kommt das Antidot in Form des Blockchain-Konzepts auf, eines weiteren Flusses – eine Kette digitaler Beziehungen – als Garantie für das Vertrauen, wenn die Transaktionen immer mehr und automatisch werden3.
Der Zweck einer lebendigen und gebildeten Gesellschaft besteht darin, den Mut der institutionellen Kreativität zu schüren, ihre Fähigkeit, sich angesichts teilweise neuer Ängste die richtigen Antikörper zuzulegen. Sicherlich geht es hier um einen Horizont, der noch erobert werden muss, um die Spannungen, die die Innovation kennzeichnen, zwar nicht zu lösen, aber zumindest um sie auszugleichen, wie jene zwischen lokal und global, zwischen Fachwissen und verbreitetem Wissen. Und wir können sagen, dass wir hier lediglich die ersten Schritte getan haben.
Anmerkungen
1. Memorandum: Principles for regulation and oversight of emerging technologies, Holdren et al., 2011
2. Democratising Engagement: What the U.K. can learn from international experience, Cornwall, A., 2008
3. Alessandro Scoscia auf der Webseite der Stiftung Giannino Bassetti: http://www.fondazionebassetti.org/it/focus/2017/09/blockchain_la_tempesta_in_inte.html