Detail einer Seekarte der Inseln vor der brasilianischen Küste - Perry Castañeda Library Map Collection. Courtesy of the University of Texas Libraries, The University of Texas at Austin.
Grafische Ausarbeitung: Alizarina
Uhren oder Wolken? Projektmanagement im Zeitalter der Komplexität
Der Untergang der Linearität und der Aufstieg der Project LeadershipSeit seinem Beginn ist das 21. Jahrhundert durch die Zunahme der Komplexität von Projekten gekennzeichnet. Dies ist hauptsächlich der Veränderung der gesellschaftlichen Voraussetzungen zu verdanken, die auf sieben Megatrends zurückgeführt werden können und die das menschliche Umfeld global kennzeichnen (Ross Dawson, 7 megatrends of professional services, 2005). Laut Dawson handelt es sich dabei um:
- Hohe Kundenansprüche
- Governance
- Konnektivität
- Transparenz
- Modularisierung
- Globalisierung
- Ökonimisierung (Commoditization)
Sie sorgen für eine definitive Änderung der Art und Weise, auf die Projektmanager ihre Projekte effizient handhaben können. Diese sieben Trends sind nicht vollkommen unabhängig, und daher ist es nicht möglich, einen davon in Angriff zu nehmen, ohne dabei nicht auch die anderen zu berücksichtigen. Das Resultat ist eine extrem stark miteinander verbundene Welt, die folglich sehr schwer zu handhaben ist.
Die klassische Theorie des (Projekt-) Managements basiert auf der Annahme, dass die Umgebung, in der sich das Projekt entwickelt, überaus linear und vorhersehbar ist. In dieser Umgebung kann der Projektmanager von Projektbeginn an eine Reihe von deliverables planen, die er schrittweise zu Ende führt, bis das Projekt abgeschlossen wird, während Veränderungen stets negativ und als Folge einer mangelhaften und unangemessenen Planung bewertet werden.
Die Erfahrung der letzten zwei Jahrzehnte veranlasst zur Annahme, dass dieses Paradigma nicht mehr gültig ist und die neu aufkommenden Merkmale der Projekte berücksichtigt werden müssen. Laut Jaafari (Ali Jaafari, Project Management in the age of Complexity and Change, 2006) weist ein komplexes gesellschaftliches Umfeld folgende Merkmale auf:
- Offene Systeme: komplexe Gesellschaften sind aus Netzen mit interagierenden Entitäten gemacht, die sich in stetiger Veränderung befinden und Instabilität im System hervorrufen;
- Chaos: komplexe Systeme sind mit Unsicherheit behaftet, die den traditionellen Verwaltungsmodus planen-ausführen-kontrollieren (planning-executing-controlling) unanwendbar macht;
- Selbstorganisation: komplexe gesellschaftliche Umgebungen neigen zur Selbstorganisation und folgen dabei dem sogenannten autokatalytischen Prozess, der am Ende zur Selbständigkeit kleiner und einfacher Einheiten führt, die in der Lage sind, Komplexität besser zu handhaben als große Einheiten;
- Gegenseitige Abhängigkeit: die große Anzahl gegenseitiger Abhängigkeiten macht jedes lineare Reduktionsmodell und jedwede Vorhersage bezüglich des zukünftigen Zustandes des Systems im Wesentlichen unnütz, und zwar wegen des Feedback-Prozesses, der in komplexen Systemen, die grundsätzlich mit linearen und reduktionistischen Ansätzen nicht in Angriff genommen werden können, sehr stark verbreitet ist.
In diesem Zusammenhang ist der Teil des Projektmanagements bezüglich der klassischen Hilfsmittel (WBS, Gantt, Budget, Earn Value Management, RAMP usw.), den man als „hard“ bezeichnen kann, nicht mehr ausreichend für den Projektmanager, der ein Projekt effizient verwalten will. Eine Unzahl von Aspekten, die hingegen als „soft“ definiert werden können, wird unerlässlich, so dass einige Autoren von project driving sprechen, und nicht von project management, und von project leader anstatt von project manager (Francesco Varanini, Walter Ginevri, Il Project Management Emergente, 2009).
Die in der Literatur am meisten verwendete und wirksamste Metapher zur Beschreibung dieses neuen komplexen Kontexts ist die Seefahrt: Der Projektmanager verfügt über nicht viel mehr als ein Endziel seines Projekts (Project Manifesto anstelle von Project Charter), der Projektplan ist die Route des Schiffs im Meer, in dem sich das Projekt abspielt, und der Projektmanager muss bereit sein, das Projektteam (die Crew des Schiffs) hin zum Endziel zu führen, und eine mehrmalige Anpassung der Route akzeptieren, je nachdem, welche Bedingungen während der Seefahrt herrschen. Ein Aspekt, den ich jedoch unterstreichen möchte, betrifft die Tatsache, dass das keinesfalls bedeutet, dass keine Planung mehr erforderlich ist oder dass sie für einen Projektmanager an Bedeutung verliert, obschon dieser Kontext komplex und auf signifikante Weise unvorhersehbar ist: Auch wenn der Kapitän keine Route mit der Gewissheit planen kann, dass das Wetter immer schön sein wird, kann er jedoch die Wettervorhersagen kennen und das Barometer im Auge behalten und infolgedessen Gegenmaßnahmen ergreifen, wenn es erforderlich ist.
“The Critical Difference Between Complex and Complicated” (T.Kinni, 2017) beschreibt den Unterschied zwischen kompliziertem und komplexem System sehr gut, wobei auch ein äußerst häufiger Fehler beschrieben wird, den Manager begehen, wenn sie sich mit Komplexität auseinandersetzen müssen: „Komplizierte Probleme können schwierig zu lösen sein, man kann sie jedoch mit Regeln und Modellen (recipes) in Angriff nehmen“ (…); der Lösungsansatz für komplizierte Probleme funktioniert jedoch nicht bei komplexen Systemen, da komplexe Systeme viel zu viele Unbekannte aufweisen und zu viele untereinander verbundene Faktoren, weshalb sie nicht auf die Anwendung von Regeln und Prozessen reduziert werden können.“ Wenn Manager sich einem Problem stellen, neigen sie automatisch zur Anwendung des komplizierten Ansatzes, währenddessen sie hingegen Komplexität auf bewusstere Weise handhaben sollten“.
Eine überaus elementare und wirksame Methode zur Messung der Komplexität eines Projektnetzwerks ist die von Kaiman definierte Vorgangsweise (Richard Kaimann, Defining the Complexity of a Project Management Network, 1975). Laut Autor ist der Komplexitätsindex eines Projektnetzwerks das Verhältnis zwischen der Anzahl der Stellen des Netzwerks gebrochen durch die Anzahl ihrer Verbindungen: Wenn der Index 1 beträgt, dann steht dies für Linearität, je mehr sich hingegen dieser Index von 1 entfernt, desto höher ist der Komplexitätsgrad des Systems. Diese elementare und intuitive Methode kann zur Festlegung des Komplexitätsniveaus jedes beliebigen Systems angewendet werden, und der Schlüssel hängt offensichtlich mit der Anzahl der Verbindungen innerhalb der Elemente des Systems zusammen. Daneben gibt es auch fortschrittlichere Ansätze, die der Intensität jeder Verbindung Rechnung tragen. (Edoardo Favari, Large Transportation Projects Management – a non-linear approach, 2013).
In diesem Zusammenhang ist der Projektmanager nicht mehr der Uhrmacher, der imstande ist, den Mechanismus des Projekts mit wenigen Kalibrierungen perfekt zum Funktionieren zu bringen, sondern er ähnelt vielmehr dem Architekten eines Schlosses, das aus Wolken gemacht ist. Dieser neue Ansatz, der nicht auf dem Determinismus basiert, sondern auf dem statistischen Ansatz und auf der Unsicherheit, verschiebt die Aufmerksamkeit des Projektmanagers von den technischen Aspekten der Arbeit des Projektteams auf die globale Verwaltung der Wolke, die aus den Projekt-Stakeholdern gemacht ist, von denen viele im Verhältnis zum Projektteam im Ausland sind und nicht hierarchisch vom Projektmanager abhängig sind. Ein weiterer Aspekt, den der Projektmanager beachten muss, ist die Beziehung mit den Projektsponsoren, deren Unterstützung lebenswichtig ist, um dem Projektmanager die Autorität zur Anleitung der Stakeholder zu verleihen. Neuerlich – und in diesem Zusammenhang ist leicht verständlich wie – erhält eine umfangreiche Palette an humanistischen Kompetenzen, darunter Führungsqualität, Team Building, Motivation, Kommunikation und aktives Zuhören, Einflusskraft, Entscheidungsfindung, politisches und kulturelles Bewusstsein, Verhandlung, Aufbau von Vertrauensbeziehungen, Coaching und Konfliktmanagement zusammen mit den technischen Kompetenzen, die einst die Basis für die Autorität eines Projektmanagers darstellten, immer größere Bedeutung.
Diese Veränderung der Perspektive kann als Übergang vom Modell des homo economicus zum homo psychologicus im Projektmanagement angesehen werden, das sich definitiv in eine Sozialwissenschaft verwandelt. Das Ergebnis dieses Ansatzes bestätigt, dass die Makroindikatoren eines Projekts wie die Indices des earn value management und des risk assessment eher durch Verhaltensprozesse auf Mikro-Ebene gekennzeichnet sind, wie dies für viele Forschungen auf dem Gebiet der Sozial- und Verhaltenswissenschaften gilt. Und so muss eine Mikro-Perspektive bezüglich des menschlichen Verhaltens in das Projektmanagement-Modell eingebaut werden, was zu einem besseren Verständnis und einer besseren Verwaltung der Projektausführungsprozesse führt.
Mit diesem kurzen Essay wollte ich eine perspektivische Sichtweise der Trends des letzten Jahrzehnts im Projektmanagement liefern, in dem Versuch, zu zeigen, dass die Kompetenzen, die von einem Projektmanager verlangt werden, immer deutlicher in den humanistischen Bereich abgleiten, wobei die Fähigkeit zur Handhabung der traditionellen Hilfsmittel natürlich weiterhin wesentlich ist. In der nächsten Zukunft erwarten wir uns, dass dieser Trend Reife erlangt, und dass die als „hard“ bezeichneten Kompetenzen immer mehr durch dedizierte Software ersetzt werden, und dass die humanistischen Kompetenzen (soft) zum Kompetenzzentrum des Projektmanagers werden.
