Systeme, die sich an den Einfluss externer Störeinwirkungen anpassen und auf diese reagieren – iStock
Resilienz als systemische Vision der Wirklichkeit
Ein inklusiver Ansatz bei der Planung von InfrastruktursystemenResilientes Denken
Die Planung von Flüssen stellt eine Ausarbeitung dar, die aufgrund ihrer Natur auf das Verbleiben und das Vermächtnis für die nächsten Generationen ausgerichtet ist. Wir zeichnen heute die strukturelle Gestalt der Gesellschaft vor, die in 50 bis 100 Jahren kommen wird. Aber wie können wir sicher sein, dass das Infrastrukturnetz, das wir schaffen und das Flüsse beherrschen wird, die für unser Überleben durchaus heikel sind, der Einwirkung unvorhergesehener Kräfte (wie Zufallsereignisse der Natur, im Energiewesen, in der Wirtschaft usw.) standhalten oder dass es Teil eines Systems werden kann, das in der Lage ist, sich an die unvermeidlichen Veränderungen unserer Gemeinschaften anzupassen?
Neben dem Begriff der Nachhaltigkeit hat sich in den letzten Jahren der konkretere Begriff Resilienz seinen Weg gebahnt. Hierunter versteht man die Fähigkeit, die unsere Netzwerke und Systeme aufweisen müssen, um die Auswirkungen eines Zufallsereignisses zu absorbieren, indem sie es verstehen, sich anzupassen, ohne dabei ihre Funktionstüchtigkeit zu verlieren.
Der Resilienz wurde vor kurzem ein Kongress gewidmet, der von den Verbänden IPMA und ANIMP sowie vom Polytechnikum Mailand organisiert wurde. Zweck der Veranstaltung war der Vergleich zwischen unterschiedlichen Erfahrungen unter besonderer Bezugnahme auf den Kontext der Projekte und den Einfluss, den ein resilienter Ansatz auf das Projektmanagement und Teams haben kann, die große Bauwerke oder Anlagen errichten.
Der Begriff ist überaus fruchtbar und hat faszinierende Ursprünge, so dass er sogar zu einem methodologischen Ansatz wurde, der unsere Konzeption und Strukturierung von Infrastruktursystemen ebenso wie die uns zur Verfügung stehenden Ausführungsmodalitäten tiefgehend beeinflussen kann.
Resilient thinking ist eine systemische Denkweise, die geschaffen wurde, um die Grundsätze der Nachhaltigkeit und der Resilienz auf dem Gebiet des Studiums der Ökologie, der Ökosystemdienstleistungen und der nachhaltigen Handhabung der natürlichen Ressourcen wissenschaftlich einzustufen. Innerhalb kürzester Zeit wurde man sich bewusst, dass sich ihre Extrapolation auf die Welt der Projekte, der Unternehmen, der Gesellschaft und der Wirtschaft als überraschend wirksam zeigt.
Komplexität vs. Risiko
Um den Begriff Resilienz voll und ganz zu verstehen und die Leitlinien für eine Methodologie im Zeichen der resilienten Denkweise herauszuarbeiten, ist ein theoretischer Exkurs in die Welt der Ökosysteme erforderlich.
Es ist interessant, zu beobachten, dass die Wahrscheinlichkeit eines vergangenen Ereignisses gleich 1 ist und die eines zukünftigen Ereignisses stets niedriger als 1 ist, da der Fluss der Zeit in eine Richtung geht und durch eine steigende Entropie geleitet wird. Diese Asymmetrie impliziert die Unmöglichkeit, vorab jedwede Strategie der Risikoverwaltung auf den Prüfstand zu stellen.
Der Begriff Risiko wird eingeführt, um unsere Exposition gegenüber Unsicherheiten zu beschreiben, ohne sie jedoch zu messen. In Wirklichkeit sollten wir es anhand von Darwins Intuition bereits verstanden haben: Die Unsicherheit der Ereignisse löst das kreative Genie der Anpassungsfähigkeit aus (das zum Überleben notwendig ist), und daher müssen wir unsere Aufmerksamkeit nicht auf das Risiko fokussieren, sondern auf die Komplexität.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass unsere Kenntnis von einer Struktur immer ungenauer wird, je komplexer sie ist. Wie die Ungewissheit kann auch das Risiko nicht gemessen werden. Die Idee eines Risk Register (das grundlegende Hilfsmittel für das Risikomanagement) ist nichts anderes als ein Bild, das geschaffen wird, indem verschiedene Nuancierungen hinzugefügt werden, das jedoch nichts misst. Die wissenschaftliche und mathematische Strukturierung dieser Methode, die nach Bildern vorgeht, sagt uns nichts über die Messbarkeit der Zukunft: alles kann immer und überall passieren.
In einem turbulenten Kontext ist das Überleben das Maß des Erfolgs. Angesichts einer Bedrohung zieht man die Stabilität, das Überleben, die Resilienz gegenüber dem Profit vor.
Wer einen ökologischen Hintergrund aufweist, ist über diese Argumentationsweise nicht überrascht: Komplexität ist eine Eigenschaft natürlicher Systeme. Die Ökosysteme sind die Wirklichkeit, die uns umgibt. Gleichermaßen sind die technischen und infrastrukturellen Systeme, die wir geschaffen haben (Transport, Logistik, Kommunikation, Gesundheitswesen, Energie, usw.) das Rückgrat der Gesellschaft, so wie wir sie konzipieren. Im Verhältnis zu den natürlichen Ökosystemen weisen die gesellschaftlichen Systeme drei typische Merkmale auf: eine technische und organisatorische Komplexität, einen Grad an Aufgliederung des menschlichen Verhaltens (das sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene nicht vorhersehbar ist), eine Unsicherheit und Nicht-Linearität ihrer Verläufe (unvorhersehbare gegenseitige Abhängigkeit).
Ökosysteme oder selbstregelnde Systeme
Gegenüber diesem Ozean der Unsicherheit gibt es einen äußerst wichtigen Fixpunkt. Alle anpassungsfähigen Systeme weisen eine Reihe gemeinsamer Merkmale auf bzw. machen eine Reihe von Phasen mit erkennbaren Merkmalen durch.
Die Abbildung zeigt die schematische Darstellung des Anpassungszyklus’ eines natürlichen Systems:
Unter der Einwirkung äußerer Kräfte werden vier Phasen durchlaufen, bei denen man bestimmte Schwellen passiert, dem Einfluss von Attraktoren und unterschiedlichen Herrschaftsgebieten unterliegt oder mehr oder weniger allgemeine Bezugsskalen durchläuft. In Bezug auf seine besondere Resilienz-Ressource erzeugt der Zyklus eine Anpassung des Systems oder dessen Verwandlung.
Resilienz
Nachhaltigkeit erfordert Dauerhaftigkeit, die Aufrechterhaltung der Ausschüttung von Ökosystemdienstleistungen seitens der Systeme, in denen wir uns befinden. Und um dem Konzept der Nachhaltigkeit einen praktischen Hintergrund zu verleihen, hob sich das Konzept der Resilienz mit besonderer Kraft hervor. Sie hängt also ab von:
- Dauerhaftigkeit: wie viel ‚Störung’ kann das System absorbieren und dabei seinen Zustand beibehalten,
- Anpassungsfähigkeit: inwieweit ist das System in der Lage, sich selbst zu regulieren,
- Verwandlungsfähigkeit: inwieweit ist das System in der Lage, zu lernen und sich zu verändern.
Es geht nicht nur darum, standzuhalten, sondern hochentwickelte und entwicklungsfähige Strukturen und Prozesse neu miteinander zu kombinieren, das System zu erneuern und neue Verläufe ans Tageslicht zu befördern. Wenn man es mit Menschen, Gesellschaft und Natur zu tun hat (den sozioökologischen Systemen), ist es wichtig, das System als Ganzes zu berücksichtigen und sich nicht auf einen einzelnen Prozess zu fokussieren, da die Komponenten voneinander abhängen.
Außerdem sprechen wir von anpassungsfähigen Systemen, die zur Selbstregulierung in der Lage sind; daher gestattet es die Kenntnis einiger ihrer Funktionsmechanismen an und für sich nicht, ihr Verhalten vorauszusagen.
Und auch wenn die Variablen, die sie charakterisieren, vielfältig sind, gibt es schließlich einige Hauptvariablen, die die Evolutionsverläufe des Systems bestimmen. Entlang der Verläufe dieser Variablen befinden sich die Schwellen. Die Überschreitung dieser Schwellen ändert die Natur des Systems, und gemäß dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik kehrt man nicht mehr zurück, wenn man einmal eine Schwelle überwunden hat. Die Resilienz ist daher eine Messung des Abstandes von diesen Schwellen.
Resilient zu denken bedeutet, die Phase zu identifizieren, in der sich das System (das eigene Projekt, die eigene Organisation, das eigene Team) im Verhältnis zu seinen dimensionalen Beziehungen der Zeit- und Raum-Skala befindet und es zu verstehen, die internen und externen Verbindungen zu erahnen. Es bedeutet, den Fokus darauf zu lenken, wie sich das System verändern und auf die Störung reagieren wird. Wenn Resilienz die Fähigkeit des Systems ist, die Störung zu absorbieren ohne eine Veränderung des Ablaufs hervorzurufen (Anpassung ohne Umwandlung), dann ist Nachhaltigkeit de facto die Kenntnis der Natur und der Position der Übergangsschwellen, und die Fähigkeit, das System in Bezug auf diese Schwellen zu handhaben. Es geht darum zu lernen, die Flüsse zu leiten, die uns bei den für uns notwendigen Infrastrukturen interessieren.
Resilientes Denken ist systemisches Denken: die menschliche Beherrschung und die biophysische Beherrschung hängen voneinander ab. Es handelt sich um ein Rahmenwerk, das es gestattet, das sozio-öko-logische System als ein einziges System anzusehen, das über untereinander verbundene Schichten wirkt. In diesem Zusammenhang sind die Selbstorganisation und die Netzwerke wesentliche Elemente, denn sie steigern die Fähigkeit von Organisationsstrukturen und Systemen, bei einem Zufallsereignis unabhängig voneinander zu reagieren.
Ganz außerordentlich ist die Angleichung dieser Konzepte an Baumans Konzept der liquiden Moderne, den Übergang vom festen/stabilen Zustand in den liquiden/unvorhersehbaren, bei dem die Unsicherheit bezüglich Dauer und Konsistenz das gesamte gesellschaftliche Leben durchdringt. Es gibt keinen optimalen Zustand des Systems, da das System nie still steht, sein Andauern im Laufe der Zeit ist ganz einfach eine Illusion. Es geht darum, das Gespür für die Erkenntnis zu haben, in welchem Stadium des Zyklus‘ man sich befindet und folglich zu handeln.
