Grafische Ausarbeitung, die die Spuren der römischen Zenturierung des Gebiets im Norden von Padua verdeutlicht
Europäische Hochgeschwindigkeitskorridore zu Zeiten der Römer
Das Straßennetz des alten Roms: ein Vorbild für die Planer von heuteZu den „Erfindungen” des Menschen, die die Vorstellung von Fluss im weitesten Sinne möglicherweise am besten zum Ausdruck bringt, zählt die Straße. Jeder Streifen Erde, der auf dem Boden vorgezeichnet wurde, hatte nämlich die Aufgabe, den Durchgang von Menschen, Tieren und Waren zu gestatten und erzeugte auf diese Weise oft bidirektionale Flüsse wirtschaftlicher, intellektueller, technologisch-wissenschaftlicher und künstlerischer Natur. Moderne Evolutionen der Straßen dieser Erde sind die unsichtbaren Straßen, die den Planeten überqueren, die den Himmel durchziehen oder über die superschnellen verkabelten Netze virtuelle Daten- und Informationsflüsse transportieren und dabei die zeitlichen Barrieren mit erstaunlicher Geschwindigkeit aufheben.
Das Konzept von Straße und der mit ihr verbundenen Funktionen in der Antike verweist unweigerlich auf die Welt der Römer. Der Beitrag der archäologischen und ethnoanthropologischen Dokumente bescheinigt zwar, dass die Römer nicht die einzigen Straßenbauer waren, es ist jedoch unanfechtbar, dass sie zu den geschicktesten Organisatoren und Verwaltern eines Straßennetzes zählten, das in der Antike einzigartig war.
Die über 120.000 Straßenkilometer, die sich durch das gesamte Imperium von Europa bis Afrika und Asien verzweigten, boten in ihrer rationalen Vernetzung und Verbindung den realen Eindruck einer ehrerbietigen Konvergenz zur Hauptstadt und haben einen echten Mythos geschaffen. Michele Fasolo hielt in einem vor kurzem in der Zeitschrift Archeomatica erschienenen Leitartikel mit dem Titel „La strada è tecnologia” (Straße ist Technologie) Folgendes fest: „Nehmen wir beispielsweise die römischen Straßen. Sie sind ein exzellenter Triumph des algorithmischen Konzepts von Geschick, das der Etymologie des Begriffs Technologie Klarheit verleiht. Das römische Straßensystem ist in dieser Hinsicht eine wirklich außerordentliche Leistung. Ergänzt durch das Seetransportnetz stellt es nicht nur eine der wesentlichen strukturellen Komponenten dar, über die sich der römische Staat zuerst behauptet und dann mindestens zehn Jahrhunderte lang seine Herrschaft über Menschen und Gebiete ausübte, sondern es hat auch mit den zahlreichen sprachlichen, künstlerischen und wissenschaftlichen Belangen, die dank der Straßen entstanden sind und dank derer sie sich verbreitet haben, enorme Konsequenzen auf kultureller Ebene herbeigeführt, die derart profund und dauerhaft sind, dass sie bis in unsere Tage anhalten.”1
Die Größe dieses Unternehmens lag nicht nur in der Technik, sondern auch in der Kultur. Das römische Straßennetz entsprach ganz präzisen logistischen und strategischen Zwecken, die alle unauflöslich mit dem Gebiet verbunden waren, über das es sich erstreckte. Die Römerstraßen entstanden im Wesentlichen für militärische Bedürfnisse, nachdem die pax romana jedoch erneut für Ordnung und Stabilität sorgte, verwandelten sie sich in Korridore mit unaufhörlichen Flüssen des Fortschritts, der Kultur, der Wirtschaft, der Technologie und des Intellekts. Dank des geordneten Straßennetzes konnte sich Rom jahrhundertelang die Treue von Völkern sichern, die sich lange Zeit widersetzt hatten, und dies dank eines kapillaren Romanisierungsprozesses der Gebiete, der durch den Bau von Straßen dorthin ermöglicht wurde. Bezeichnend ist in diesem Sinne die Romanisierung von Gallien, Germanien und Britannien – Provinzen des römischen Reichs, die dazu bestimmt waren, in den zukünftigen Jahrhunderten die kontinentale Führungsrolle im technologischen und industriellen Fortschritt einzunehmen. In diesen Provinzen führte die Ankunft der Römer und der Bau der Straßen für das Vordringen des Heers beziehungsweise der Verbindungswege mit dem Innenland (wie im rheinischen Deutschland) oder auch der Anpassung der vorrömischen Wege an die italische Tradition (wie in Gallien) zu fruchtbaren wirtschaftlichen Entwicklungsprozessen. Nachdem keine unmittelbaren militärischen Bedürfnisse mehr bestanden, bewegten sich auf den Straßen nämlich die Handelsflüsse der Rohstoffe und der handwerklichen und industriellen Manufakte, die zu den Binnenmärkten oder auch entlang der Handelsrouten des Mittelmeers zu den externen Märkten führten. In Zentren wie Arles, Lyon, Narbonne, Mainz, Trier, Köln und London entwickelten sich Formen der städtischen Kultur, die der der italienischen Städte um nichts nachstanden, mit dem Aufkommen eines städtischen, unternehmerischen und industriellen Bürgertums, das dank der wirtschaftlichen Vorteile entstand, die das Vorhandensein eines organisierten Straßennetzes bot.
Ein wesentlicher Fakt, den wir aus diesen Ereignissen erkennen können, ist die enge und unauflösliche Verbindung zwischen der Römerstraße und den von ihr durchzogenen Gebieten, die durch ihren Verlauf nicht nur in Sachen rationale Organisation gefördert und aufgewertet wurden, sondern auch in Sachen Integration in ein umfangreicheres System der Kontakte und des Austauschs, das durch das Straßennetz vermittelt wurde. Man kann sich sicherlich über die Tatsache einig sein – und ich zitiere hier noch einmal Fasolo, dass „der Meilenstein ein für alle Mal den Punkt im Raum fixiert und auf diese Weise auch den Takt der Zeit schlägt. Immense Territorien nehmen auf diese Weise zum ersten Mal sichere Umrisse an, werden zu permanenten militärischen und wirtschaftlichen Bezugspunkten, und es können nun auch die Zeiten festgelegt werden, die für den Weg erforderlich sind.“ Es waren also die Straßen, die die Gebiete definierten, die der römische Staat nach und nach unter seine Herrschaft nahm. Die Verbindung Straße/Gebiet, die noch heute anhand der Überreste der Zenturierung ablesbar ist (die landwirtschaftliche Abgrenzung, die nach geometrischen Methoden und religiösen Ritualen vorgenommen wurde) und die zuerst in Italien angewendet und dann in die Provinzen exportiert wurde, schuf die Bedingungen für das Entstehen städtischer Ballungszentren und ländlicher Gemeinschaften, wobei letztere durch Nebenstraßen (viae vicinales) verbunden waren. Es ist also nicht übertrieben, zu behaupten, dass die Legionäre zwar die Gebiete des Reiches erobert haben, die Ingenieure jedoch deren Besitz gefestigt haben.
Das Erbe der Römer erlegt uns die legitime Frage auf: Worin besteht unsere Beziehung als Menschen des 21. Jahrhunderts mit diesem außerordentlichen Werk der Vergangenheit und welche Lehre müssen wir daraus ziehen? Nachdem die rhetorische Begeisterung abgeklungen ist, die vor allem im Laufe des 20. Jahrhunderts dem Image der Stadt Rom und des Römertums geschadet hat, da sie sich im Wesentlichen darum kümmerte, lediglich die technologischen und militärischen Aspekte als Spiegelbild eines unverzichtbaren und fatalen Machtwillens hervorzuheben, ist es heute sicher zweckmäßig, über die kulturellen Werte nachzudenken, die die Römerstraßen repräsentierten. Für den Europäer, der in diesen Zeiten dem langsamen, schwierigen und oftmals dramatischen Aufbau einer Europäischen Union beiwohnt, ist diese Überlegung Pflicht. Der geographische Bereich, der sich einst zum Großteil innerhalb der Grenzen des nordwestlichen Teils des alten römischen Reichs befand, wird heute von zahlreichen Flüssen in Sachen Handel, Technologie und Menschen durchquert, von denen einige den alten Leitlinien folgen, die in der antiken Welt gezogen wurden. Flüsse, die unendlich schneller sind, jedoch nicht immer auf die Bedürfnisse des Menschen und der Umgebung eingehen. Auch im Zeitalter des „super fast“ können die Römerstraßen noch ein Modell der Nachhaltigkeit darstellen.
Fußnoten
1. La strada è tecnologia (M. Fasolo), in Archeomatica 4, 2015
